„Die Frauen nicht in die Pfanne hauen“

Die Hamburger Regisseurin Angela Richter bringt den Prozess um Maxim Billers inzwischen verbotenen Roman „Esra“ auf die Bühne. Ein Gespräch über die Freiheit der Kunst, absichtliches Lügen und die Verlogenheit der Wirklichkeit

ANGELA RICHTER, 36, ist Intendantin des Fleetstreet Theaters in Hamburg und inszeniert im April „Der Fall Esra“ an der dortigen Kampnagelfabrik. FOTO: ANDI WEMHEUER

taz: Wie viel dramatisches Potential hat denn ein Prozess über Persönlichkeitsrechtsverletzung in der Literatur, Frau Richter?

Angela Richter: Es ist ja nicht so, dass wir nur den Prozess auf die Bühne holen, sondern wir haben es ein Rezeptionsdrama genannt. Anlass ist das Verbot des Romans, das einem als Künstler natürlich sofort einen Stich versetzt. Das dramatische Potential besteht für mich unter anderem in dem Anspruch, den die Wirklichkeit an die Wahrheit stellt. Literatur verdoppelt die Welt und das ist für mich eine Parallele zum Theater: Das ist ein Ort des absichtlichen Lügens – und das ist wahrhaftiger als diese oft behauptete Authentizität in Medien und Talkshows. Deswegen wird „Der Fall Esra“ auch kein Dokumentartheater werden, sondern ein Theaterstück.

Werden die beiden Frauen, die gegen Billers Roman geklagt haben, darin als Figuren auftauchen?

Wir haben noch nicht angefangen zu proben, deswegen kann ich dazu nichts Verbindliches sagen. Aber sie werden sicherlich in homöopathischer Form erscheinen.

Haben Sie sich deswegen vorab juristisch beraten lassen?

Es geht nicht darum, dass ich mir von Juristen einen Maulkorb verpassen lasse, zumal mir nach der ersten Sitzung mit dem wirklich sehr kompetenten Anwalt klar wurde, dass es da keine eindeutige Antwort gibt. Wenn wir den Roman eins zu eins auf dem Theater spielten – was überhaupt nicht unser künstlerisches Interesse ist –, dann wäre es nur eine dumme Provokation und man würde vermutlich direkt eine einstweilige Verfügung kassieren. Ich finde die Idee interessant, welche Form sich ergibt, wenn man die Rezeptionsgeschichte und die des Romans erzählt. Das Interesse ist aber nicht, die beiden Frauen in die Pfanne zu hauen und ihre Persönlichkeitsrechte erneut zur Disposition zu stellen.

In der Ankündigung des Stücks heißt es, es ginge um die „Ehrlichkeit der Kunst und Verlogenheit der Wirklichkeit“. Das klingt schon eher kritisch.

Ich gehe von der Prämisse aus, dass ein Roman Fiktion ist. Wie viel davon Erlebtes und Erlittenes des Autors ist und wie er es präsentiert, gehört zur künstlerischen Freiheit. Dann erscheint es mir sonderbar, zu kommen und zu argumentieren: Das ist die Wahrheit. Werden dann künftig nicht Lektoren und Dramaturgen über Texte gucken, sondern erst einmal Anwälte?

Gehören Sie zu den wenigen Menschen, die den Roman gelesen haben, bevor er zum Gerichtsfall wurde?

Ja, ganz zufällig. Ich war in einer Buchhandlung und sah das Buch an der Kasse liegen. Das war die geweißte Fassung nach der ersten einstweiligen Verfügung, in der Straßennamen und dergleichen wegfielen. Und dann habe ich die Feuilletondebatte mit großem Interesse verfolgt.

Die Lesermeinungen sind ja durchaus geteilt. Neben Lob gab es auch Stimmen, die sagte, es sei eine ziemlich belanglose Liebesgeschichte.

Über die Qualität des Buches kann man sicher geteilter Ansicht sein. Den Klägerinnen ging es ja um die Verletzung ihrer Ehre: Und die kann man meiner Meinung nach in diesem Text nicht nachweisen. Unabhängig von seiner literarischen Qualität.

Natürlich. Es ist nur erheiternd, wenn sich solch ein Grundsatzstreit um künstlerische Freiheit an einem möglicherweise eher mittelguten Text entzündet.

Ich bin gar kein ausgemachter Biller-Fan, mir gefallen vor allem die alten Texte, zum Beispiel die 100 Zeilen-Hass Kolumne. Was mir auffällt ist, dass von so vielen Leuten, die den Text nicht gelesen haben, vorausgesetzt wird, dass „Esra“ ein Rachefeldzug ist. Aber auf mich wirkt es überhaupt nicht so. Und auch die männliche Hauptfigur Adam ist nicht sonderlich sympathisch. INTERVIEW: FRIEDERIKE GRÄFF

Premiere: 2. April, 19.30 Uhr, Hamburg, Kampnagel