Politische Hitzewelle in Paris

Mindestens 5.000 alten Menschen hat der heiße Sommer in Frankreich das Leben gekostet. Jetzt erst legt Premier Raffarin einen Plan zur Verbesserung der Altenversorgung vor. Finanziert werden soll der wohl durch das Streichen eines Feiertages

aus Paris DOROTHEA HAHN

Genaue Zahlen gibt es immer noch nicht. Genauso wenig wie eine Erklärung dafür, dass das Geschehen in Frankreich so viel dramatischer war als andernorts, wo ähnlich hohe Temperaturen herrschten. Fest steht nur, dass dieser Sommer den Alten in Frankreich das große Sterben gebracht hat. Nach Schätzungen sind in den ersten drei Augustwochen zwischen 5.000 und 13.000 alte Menschen mehr gestorben als im Vorjahr. Sie starben den „Hitzetod“. Die Hälfte von ihnen in Altersheimen. Mehrere hundert sind bis heute nicht bestattet, weil ihre Angehörigen sich nicht gemeldet haben.

Als die Katastrophe geschah, war die Regierung in Urlaub. Als sie auftauchte, konzentrierte sie sich auf die „verlorenen familiären Bande“ und die „schrumpfende Solidarität in der Gesellschaft“. Über Hintergründe der Katastrophe sprach sie nicht. Dabei warnen die Beschäftigten im Gesundheitswesen und in der Altersversorgung seit Jahren, dass der Personalabbau, die finanziellen Kürzungen und das Bettenstreichen in Krankenhäusern und Notaufnahmestationen in die Katastrophe führe. Heute liegt der Personalschlüssel in Altersheimen in Frankreich um ein Vielfaches unter dem in Deutschland und der Schweiz. Und auch die Hauskrankenpflege für Alte liegt im Argen. Vor wenigen Monaten hat die Regierung die finanzielle Unterstützung dafür radikal gekürzt.Erst in dieser Woche hat Premierminister Jean-Pierre Raffarin ein paar Vertreter der Träger von Altersheimen an den runden Tisch geladen, um über die „Hitzetoten“ zu beraten. Die Gewerkschaften freilich, die seit den 90er-Jahren auf die Missstände hinweisen, lud er nicht. Auch Doktor Patrick Pelloux war nicht mit von der Partie. Der Arzt und Präsident der Notärztevereinigung war der Erste, der am 10. August 50 „Hitzetote“ ankündigte und die Alarmglocke zog.

Die Vertreter der Trägereinrichtungen ihrerseits haben seit Monaten Argumente gegen die Altenpolitik der Regierung gesammelt. Schon im Frühling verlangten sie – vergeblich – ein Treffen mit dem Sozialminister, um die Einfrierung von Zahlungen über 103 Millionen Euro zu verhindern. „10.000 Tote waren nötig, bis wir geladen wurden“, konstatierte am Dienstagabend der Präsident der Vereinigung der privaten Altersheime (Synerpa), Luc Broussy. Jetzt verlangen die Träger von Altersheimen einen „Marshallplan für die Alten“. Die Vereinigung der öffentlichen Träger (Adehpa) beziffert den Bedarf in den Altersheimen auf sieben Milliarden Euro für die nächsten drei bis sieben Jahre. Der „Staatssekretär für alte Personen“ in der französischen Regierung, Hubert Falco, hat erkannt, dass Frankreich eine „Verspätung von 20 Jahren“ hat und sagt jetzt, er werde alles tun, um die nötigen Mittel zu mobilisieren.

Doch der Premierminister des reichen Frankreich macht vorerst keine konkreten finanziellen Vorschläge. Statt von Geld und Zahlen spricht Raffarin von einem „Plan Altern und Solidarität“, den er im Oktober vorstellen will. Zusätzlich hat er die Idee, einen Feiertag zu streichen. Als „Zeichen der Solidarität“ sollen die Franzosen einen Tag mehr arbeiten, um die Altenversorgung zu finanzieren. Ein Datum hat er nicht genannt. Im Gespräch ist der 8. Mai, der Tag der Kapitulation des NS-Regimes. Die Abschaffung dieses arbeitsfreien Tages könnte die Regierung zusätzlich mit der deutsch-französischen Freundschaft begründen.

In jedem Fall wird das große Sterben ein parlamentarisches Nachspiel haben: Drei Parteien verlangen Untersuchungsausschüsse. Vor dem Hintergrund der „Hitzetoten“ dürfte auch die geplante Gesundheitsreform, mit der die Regierung zusätzlich Geld sparen wollte, schwieriger werden.