Kraftsport in Reinform

Wenn die acht Teams der Bundesliga im Tauziehen bei brütender Hitze ihren Champion ermitteln, geht es vor allem laut zu: Ein ächzender Chor des Leidens begleitet die Anstrengungen am Seil

AUS FREIBURG PATRICK GRIESSER

Zuerst ist es ein Schrei. „Push“, brüllt eine kräftige Stimme, dann folgt unmittelbar die Antwort: lautes Schnauben, verbissenes Stöhnen und unheilvolles Ächzen. Acht Männer bilden diesen Chor der Leidenden, sie klammern sich an ein dickes Hanfseil, stemmen sich in den zerfurchten Untergrund und kämpfen gegen die drohende Niederlage. Ein Bild, wie es sich nur beim Tauziehen bietet. In den Sommermonaten treten zumeist in Südbaden acht Mannschaften an, um in der Tauziehbundesliga des Deutschen Rasenkraftsport- und Tauziehverbandes (DRTV) ihre Kräfte zu messen. Am Sonntag hatten die Tauziehfreunde Böllen im Schwarzwald Heimrecht.

Tauziehen kennt jeder. Doch Tauziehen in der Bundesliga, das ist kein Spiel. Das sind acht Mann mit einem Gesamtgewicht von bis zu 640 Kilogramm, die in harmonischer Bewegung an einem Strang ziehen, und Tauziehen ist Kraftsport in Reinform. Da mahnt die freundliche Stimme im Radio vergebens, wegen hoher Ozonwerte im Südschwarzwald körperliche Anstrengungen zu vermeiden. Im Luftkurort Schönau wird an diesem Sonntag kein Radio gehört. Wer nicht im Schwimmbad weilt oder im nahen Kirchzarten den Sommer-Sinkflug der deutschen Skiadler verfolgt, der hat sich in der brütenden Hitze auf den Weg zum Bundesligakampf der Tauziehfreunde Böllen gemacht.

Knapp 750 Zuschauer feuern die Athleten der acht Teams an. Die Sportler hängen immer wieder mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht im Seil. Acht Mann pro Team müssen den Gegner vier Meter zu sich heranziehen, dann ist ein Durchgang gewonnen. Zu mindestens 16 Durchgängen ist jede Mannschaft am Sonntag angetreten. „Da ist vor allem Kraftausdauer gefragt“, sagt Kurt Rosa, der Bundestrainer der 640-kg-Mannschaft des DRTV.

Die Blicke der Männer nach solch einer Strapaze sind leer, sie wirken abgekämpft. Beim Tauziehen kommt es auf die Spannung an, und die kann am Ende eines Wettkampftages auch mal verloren gehen. Jeder Durchgang folgt dem gleichen Ritual: Zuerst sucht sich jeder Tauzieher einen sicheren Stand und rammt die schweren Stiefel mit der glatten Stahlsohle in den aufgewühlten Rasen. Er stößt die Luft laut hörbar aus den Lungen, das Seil wird hochgehoben und fest gepackt.

Noch hängt das mindestens 33,5 Meter lange Hanfseil leicht durch, dann gibt der Schiedsrichter das Signal: „Pull!“ Jede einzelne Muskelfaser im Körper der Tauzieher scheint sich zu verhärten, das Seil springt einmal kurz in die Höhe, dann stehen Athleten und Hanffasern unter der gleichen Spannung. Das Seil gibt nicht nach, nie. Eine der beiden Mannschaften wird irgendwann einbrechen.

Am Sonntag ging das immer wieder schnell, das war der Hitze geschuldet. Selten dauerte ein Durchgang länger als zwei Minuten – bei internationalen Wettkämpfen komme es immer wieder zu Duellen von über zehn Minuten, sagt Bundestrainer Kurt Rosa. Vor allem Böllen hatte es am Sonntag vor eigenem Publikum eilig. „Die ziehen immer offensiv“, sagt Rosa, und das heißt, nur kurz wird gehalten und geblockt, dann arbeiten sich die Tauzieher mit kleinen Schritten zum Sieg. Böllen steht in dieser Saison vor dem ungefährdeten Gewinn der deutschen Meisterschaft. Das bekam im Finalkampf auch der Titelverteidiger, die Landjugend Neckar-Bergstraße, zu spüren. Die Hessen hatten keine Chance und verloren beide Durchgänge in weniger als einer halben Minute.

Vor dem letzten der acht Wettkampftage fehlen Böllen damit noch sechs Punkte für den Meistertitel. „Die holen wir auch noch“, sagt Trainer Dietmar Broghammer. Er steht selbst am Seil seinen Mann und achtet darauf, dass sein Team nicht auf dem Hosenboden landet. Das passiert beim Tauziehen immer dann, wenn die Kräfte nachlassen. Doch das Regelwerk des Tauziehens verbietet das: Wer absitzt, das Seil einklemmt, sich abstützt oder am Seil nachgreift, dessen Mannschaft wird vom Schiedsrichter verwarnt. Nach drei Verwarnungen ist der Zug verloren und der Gegner punktet.

Vor allem in Südbaden wird Tauziehen intensiv betrieben. „Unser Sport hat hier in der Gegend eine lange Tradition“, sagt Kurt Rosa. Die Sportart Tauziehen hat eine noch viel längere Geschichte. 1920 in Antwerpen war der Sport zum letzten Mal olympisch. „Es sind zu wenige internationale Verbände gemeldet, deshalb stehen wir nicht mehr im olympischen Programm“, bedauert Rosa.

Statt nach Athen fährt Rosa dafür im September nach Rochester (Minnesota). Dort treten die deutschen Tauzieher bei der Weltmeisterschaft an. Im Gepäck haben sie dann auch ihr Rezept für den richtigen Griff am Seil: Jede Mannschaft werkelt trotz sommerlicher Hitze noch mit einem Gaskocher, auf dem aus Harz und weiteren Klebstoffen eine Mixtur für die richtige Haftung am Seil erhitzt wird. So wie die Sportler dann am Seil kleben, so hängen sie auch am Tauziehen: Für den Trip zur WM greifen die Mitglieder der Nationalmannschaft nämlich in den eigenen Geldbeutel. „Beim Tauziehen gibt es keine Profis“, sagt Bundestrainer Rosa.