Rürups Reformladen macht heute seine Räumungsparty

Nach neun Monaten mit Rürup & Co liegt wenigstens etwas vor: eine halbwegs lesbare Materialsammlung. Die wird heute mit Ulla Schmidt, Sekt und Selters gefeiert. Richtig neue Thesen hat die Kommission zur Sanierung der Sozialsysteme jedoch nur für die Pflegeversicherung erarbeitet

BERLIN taz ■ Stimmt, die Bibel klingt anders. „Verteilungsmäßige Schlechterstellungen der Versicherten im Vergleich zum gegenwärtigen System können durch die Gestaltung des Zuschusssystems und seiner Finanzierung vermieden werden, allerdings ergäbe sich dann ein zusätzlicher Finanzierungsbedarf und damit eine entsprechende Belastung der öffentlichen Haushalte.“ So zum Beispiel erläutert der Rürup-Bericht den Umstand, dass es ja schön wäre, wenn Steuergelder für die Krankenversicherung armer Leute da wären.

Nun wird der Bericht der Kommission zur Sanierung der Sozialsysteme erst heute Morgen offiziell an die Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) übergeben. Mit den Worten, er sei „nicht die Bibel“, hat sich jedoch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bereits von dem 400-seitigen Werk der 26 Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik distanziert. Er wollte damit sagen, dass nicht alle Vorschläge im Bericht zur Sanierung des Renten-, Gesundheits- und Pflegesystems heilig sind. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Einen Gesetzentwurf zu Rente und Pflege hat die Regierung für den Oktober angekündigt. Mindestens bis dahin wird die Debatte um die „Rente mit 67“, die Rentenschrumpfung gemessen am Nettoverdienst und den Stopp der Rentenerhöhung also noch weitergehen. Dass sich ein Gesetzentwurf dicht an der von Bert Rürup geleiteten Kommission orientieren wird, ist bereits klar – schließlich hat das Gremium bereits bekannte Ideen zusammengefügt. Und so viele Möglichkeiten, die Altersversorgung einer alternden Bevölkerung zu sichern, gibt es nicht.

In der Gesundheit hat die Kommission keinen gemeinsamen Vorschlag erarbeitet, sondern zwei Wege aufgezeigt: zur „Kopfpauschale“, den einheitlichen Kassenbeitrag für alle ohne Arbeitgeberanteil, und zur „Bürgerversicherung“, einer gesetzlichen Versicherung auch für Gutverdiener und Beamte. Lediglich in der Pflege hat die Rürup-Kommission eine erste kritische Bestandsaufnahme der 1995 eingeführten Versicherung geleistet und neue Thesen produziert. Ausgehend davon, dass es im Jahr 2040 3,5 Millionen Pflegebedürftige geben wird (heute knapp 2 Millionen), schlägt die Kommission vor, Rentner erhöhte Beiträge zahlen zu lassen. Diese würden in eine Vorsorge für die Jüngeren umgemünzt. Hier kommt der „intergenerative Ausgleich“ zum Tragen, die zurzeit vielbeschworene „Generationengerechtigkeit“.

Doch unabhängig davon, ob die Vorschläge Gesetz werden oder nicht: Die Kommission hat für die verzwickten und schwer überschaubaren sozialen Sicherungssysteme eine Materialsammlung erstellt, die ausführlich und für eingearbeitete Laien – Abgeordnete zum Beispiel – lesbar ist. Nichts anderes wird die rot-grüne Regierung erwartet haben, als sie im November 2002 die Kommission mit Experten besetzte, deren Unwillen, sich zu einigen, bekannt war.

Die despektierliche Äußerung des Kanzlers –„nicht die Bibel“ – soll daher nicht nur der Politik einen Handlungsspielraum zumessen. Sondern sie soll auch die Kommission selbst für ihre Medienpolitik kritisieren. Denn nicht Streit sollte ja vermieden werden, sondern eine Veröffentlichung von Streit, die den Politikern schaden könnte. Genau dies drohte jedoch zu geschehen, als etwa die Privatisierungsforderungen des Freiburger Ökonomen Bernd Raffelhüschen als Mehrheitsmeinungen kursierten. Oder als die Chefin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Barbara Stolterfoht, aus Wut darüber, sich gegen die Wissenschaftler-Gang nicht durchsetzen zu können, die ganze Kommissions-Berufung verfluchte.

Heute jedoch ist es mit der Ärgerei vorbei. Dann wird Ulla Schmidt sich lächelnd bedanken und versprechen, den Bericht ernst zu nehmen. Und nichts anderes wird die Kommission erwartet haben.

ULRIKE WINKELMANN

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