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: Kernspintomograf im Mittelfeld, Hypotenuse auf der Kreuzung, Pastellfarbe in der Harnröhre

Die große Macht der Vorstellungskraft

Mit ein bisschen Fantasie-ie, da klappt alles so wie nie, ja alles so wie nie, ja alles so wie nie. Vorstellungskraft is King. Letzte Woche sagte zum Beispiel der Premiere-Sportmoderator bei der Bundesliga-Konferenz: Im Mittelfeld ist es so eng wie in einem Kernspintomografen. Ich war richtig bis aufs Mark erschüttert, um in der Thematik zu bleiben, ob dieser Illustration. Eng wie in einem Kernspintomografen! Der Ball trifft den Pfosten wie ein Laserstrahl die Krebszelle! Und der Manndecker klebt am Spieler wie Herpes! Da möchte man gar nicht wissen, was so ein Moderator gerade durchmacht, wenn er nicht arbeitet. Ob er aus dem Krankenhaus heraus kommentiert? Angeschlossen an dieses Gerät mit dem „Pling!“? Den Körper einbandagiert wie die „Mumie II“? Ein mutiger Mann, das fühlte ich gleich.

Nie werde ich auch die mysteriöse Frau an einer dunklen Straßenecke Leipzigs vergessen, die ich verzweifelt nach dem Weg zum Bahnhof fragte, und die mir erklärte: Sie gehen diese Straße weiter, und dann da hinten … da kommt so eine Art Kreuzung … also da gehen Sie quasi die Hypotenuse lang! Natürlich vermutete ich gleich eine amtliche Matheprofessorinnenvergangenheit oder vielleicht eine erfolgreiche Architektinnenlaufbahn und machte mich voller Respekt und unter Zusammenkratzen meiner gesammelten mageren Rechenkenntnisse auf den Weg. Leider kam ich nicht beim Bahnhof an. War wohl die Kathete hinuntergehoppelt. Oder hatte zu wenig Fantasie für ein Dreieck.

Aber auch andere Berufszweige haben große Vorstellungskräfte. Meine Orthopädin schickte mich neulich zur Krankengymnastik, weil ich keinen Reflex mehr im rechten Bein habe und morgens aus dem Bett hinke wie ein angeschossener Infanterist. Die Krankengymnastin, lächelnd in bequemer Hose und weitem T-Shirt, bat mich, mich auf den Boden zu legen, die Augen zu schließen und die Knie aufzustellen. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie nähmen einen dünnen Pinsel, sagte sie. Ich nahm in Gedanken einen dünnen Pinsel. Und jetzt malen Sie einen Kreis um Ihren Anus und einen um Ihre Harnröhre, fuhr sie fort. In einer zarten Pastellfarbe.

Ähm, sagte ich und steckte den Pinsel in Gedanken noch mal kurz ins Tuschwasser zurück, WAS soll ich machen? Einen Kreis mit einem dünnen Pinsel malen, erläuterte sie unbeirrt, in einer zarten Pastellfarbe, nicht Dunkelblau oder Schwarz oder so. Stellen Sie sich das vor? Jj… jja, sagte ich, sieht … toll aus. Vor allem zu meiner Hautfarbe. Jetzt malen Sie eine stehende Acht, sagte sie, um Anus und Harnröhre. Ich malte. Guuuut, sagte sie. Ich signierte mein Gemälde in Gedanken. Bleiben Sie so liegen, sagte meine Krankengymnastin, und denken Sie jetzt mal an Ihren Damm.

Wir meinen denselben Damm, fragte ich alarmiert, das, was immer reißt, wenn ein Kind rauswill, und weswegen man dann wochenlang nur auf Schwimmreifen sitzen kann, wie meine gebeutelten Mütterfreundinnen mir erzählt haben? Genau den, sagte sie. Stellen Sie sich vor, Ihr Damm sei ein kleiner Mund mit kleinen Zähnen. Und dieser Mund, der knabbert jetzt mal … an einer Aprikose.

Ich habe mir schon vor Jahren abgewöhnt, nach Paola und Kurt Felix zu rufen, wenn etwas komisch wird, denn das ist mir zu 80er-mäßig. Also lag ich nur weiter herum, und mein hungriger Damm knabberte possierlich an der Aprikose. So, sagte die Krankengymnastin, sind Sie fertig? Als Antwort spuckte ich ihr scherzhaft den Aprikosenkern an den Kopf, in Gedanken natürlich nur. Aber irgendwie fühle ich mich seit der Stunde wirklich ein wenig entspannter. Das muss die große Macht der Fantasie sein. JENNI ZYLKA