Dänemarks eigene Irakkrise

Die Regierung hielt Hintergründe zum Tod dänischer Soldaten in Basra zurück. Auch vor dem Krieg soll das Parlament in Kopenhagen gezielt falsch informiert worden sein

STOCKHOLM taz ■ 19,6 Millionen Dinar Schadensersatz, rund 10.000 Euro, zahlt Dänemark an die Nachkommen der beiden am vorletzten Samstag von dänischen Soldaten erschossenen irakischen Fischer. Diesen Betrag habe man mit den lokalen Scheichs ausgehandelt, ließ das dänische Militär wissen. Schnell vom Tisch haben will man nun in Kopenhagen offenbar eine Geschichte, bei der man es bislang mit einer scheibchenweisen Präsentation der Wahrheit versucht hat: über die Hintergründe einer Schießerei in Basra, die mit dem Tod von zwei Irakern und einem dänischen Soldaten endete.

Schon wenige Stunden nach dem Vorfall am 16. August schälte sich heraus, dass es nicht die angebliche irakische Diebesbande war, die den dänischen Soldaten Preben Pedersen erschossen hatte. Sondern das friendly fire seiner eigenen Kameraden. Doch dass auch der behauptete Schusswechsel gar keiner war, sondern nur im Abfeuern von Waffen seitens der dänischen Patrouille bestand, das behielt man für sich – und ließ die Medien undementiert tagelang Unwahrheiten und Spekulationen verbreiten. Die Enthüllung der „Diebesbande“ als unbewaffnete und offenbar auch völlig ungefährliche Fischer schließlich glückte erst nach einer Woche einem Team des dänischen Fernsehens, das sich vor Ort umhörte. Dabei lag auch diese Wahrheit schon Stunden nach dem Vorfall als Rapport in der Schublade von Verteidigungsminister Svend Aage Jensby.

Rücksichtnahme auf seine Soldaten habe ihn zu seiner Informationspolitik veranlasst, behauptete der Verteidigungsminister in einer Presseerklärung am Dienstag: Er habe sich nicht in das anstehende rechtliche Nachspiel der Schussepisode einmischen wollen. Und er habe nicht dänische Soldaten öffentlich anklagen wollen, bevor das Geschehen vollständig geklärt worden sei.

Dass er stattdessen neun Tage lang der Geschichte von einer Diebesbande nicht widersprach, welche Stromkabel stehlen wollten, hält die Opposition im dänischen Parlament für ein Unding. „Von einem Verteidigungsminister kann mal wohl korrekte Informationen erwarten“, kritisierte der außenpolitische Sprecher der Sozialdemokraten, Jeppe Kofoed: „Den Soldaten hat er damit jedenfalls einen Bärendienst erwiesen.“ Die Sozialistische Volkspartei forderte gar den Rücktritt von Jensby. Aber auch aus dem Regierungslager wurde Kritik laut. Helge Adam Møller, Major und zur konservativen Regierungspartei gehörender Vorsitzender des verteidigungspolitischen Ausschusses meint: Wenn man Fehler gemacht habe, müsse man Konsequenzen ziehen.

Dänemark hat derzeit 420 Soldaten im Irak, die den Auftrag haben, ein etwa 60 Quadratkilometer großes Gebiet in und bei Basra zu überwachen, wo es in den letzten Wochen immer unruhiger geworden ist. Der dänische Militäreinsatz geht auf einen Parlamentsbeschluss vom März zurück, in dem sich die Regierung Rasmussen ihre Zugehörigkeit zur „Koalition der Willigen“ mit Hilfe der ultrarechten Dänischen Volkspartei absegnen ließ. Erst vor einer Woche musste Außenminister Per Stig Møller zugestehen, dass auch bei diesem Beschluss nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war. In dem Material, das dem Parlament vorgelegt wurde, wird fälschlicherweise unter anderem behauptet, im Irak seien von den UN-Waffeninspekteuren nach 1995 große Mengen chemischer und biologischer Waffen gefunden und zerstört worden. Außerdem argumentierte die Regierung, unstrittige Informationen darüber zu haben, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfüge. Doch soll der dänische militärische Geheimdienst eine eigene Bewertung des Gefahrenbilds vorgenommen haben, die diesem Bedrohungsszenario widerspricht – Analysen, die die Regierung bislang nicht öffentlich machen will. Auch Dänemark steht offenbar ein politischer Streit über die Frage bevor, auf welcher Grundlage das Land in den Irakkrieg gezogen ist.

REINHARD WOLFF