Das Glück der Gartenzwerge

Zwischen den Beeten: Roland Brus hat Theater mit Obdachlosen und Gefangenen gemacht, jetzt nimmt er sich mit „Parzelle Paradies“ die Kleingärtner vor. Man erfährt viel über das Leben im Schrebergarten, bekommt aber auch Klischees vorgesetzt

Ein Klappstuhl ist ein authentisches Möbelstück. In den Gärten riecht es nach Holunder

VON KIRSTEN KÜPPERS

Ick persönlich verreis ja nich so jerne, ick bleib ümma in mein Jarten, da hab ick mehr von, als wenn ick jetze da unterwegs bin, dit is ma allet zu stressig und so. Klar is dit mal schau, wenn ma mal im Urlaub is und so, aber länger als ne Woche halt ick dit nich aus. Woanders is et och nich schöner wie hier …

Sonntags abends bellen die Hunde. Der Feierabend senkt sich auf die Brombeersträucher. Zwei Frauen hängen die Obstkisten an die Fahrradlenker und fahren wieder in die Wohnungen. Nur ein paar Rentner und Arbeitslose bleiben noch, setzten sich in den Lauben auf die Sofas, der Fernseher läuft. Es ist jetzt besonders still in der Kleingartensiedlung „Bornholm I“ am ehemaligen Mauerstreifen, zwischen Prenzlauer Berg und Wedding. Die Welt verschwindet hinter den Hecken.

Und so soll es ja auch sein. 80.000 Schrebergartenparzellen gibt es allein in Berlin, bundesweit über eine Million. „Wir haben acht Prozent Wählerpotenzial. Sind sozusagen eine kleine FDP“, sagt einer der Kleingärtner von Bornholm I. Es ist ein geordneter Rückzug. Parzellenbesitzer verlegen ihr Privatleben hinter die Büsche. Sie halten sich an die Regeln.

Roland Brus ist 40 Jahre alt und Theaterregisseur. Er interessiert sich schon lange für mehr oder weniger geschlossene Systeme. Er hat Theater mit Obdachlosen gemacht und mit Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Tegel gearbeitet. Jetzt hat er sich das Thema Kleingarten vorgenommen. Die Siedlung Bornholm I schien ihm geeignet.

Die Anlage liegt direkt an der S-Bahn-Trasse. Die Kleingärtner können gute Geschichten erzählen. Bis 1989 stand hier die Mauer. Die Siedlung war bewacht und nur für Parzellenbesitzer zugänglich – die Hinterlandsmauer verlief direkt hinter dem letzten Garten. Auf dem Gelände der Anlage patrouillierte die Gruppe „Ordnung und Sicherheit“, nachts mussten die Leitern weggeschlossen werden, und im Bunker saßen Grenzpolizisten und lauschten, ob jemand ein Loch gräbt. Aber nicht alles war schlecht im Grenzgebiet, meint ein Gartenbesitzer: „Bei mir waren die Tomaten zwei Wochen früher reif als in den Nachbarparzellen“. Wegen der Nachtspeicherwärme der Grenzanlagen.

Brus hat also lange Interviews mit den Bewohnern geführt und sie zum Mitspielen überredet. Herausgekommen ist „Parzelle Paradies“, ein Theaterprojekt in der Kleingartenanlage Bornholm I. Zur Vorstellung bekommen die Zuschauer tragbare Klappstühle mit auf den Weg. Und natürlich macht das erst einmal einen guten Eindruck.

Ein Klappstuhl ist ein authentisches Möbelstück. In den Gärten riecht es nach Holunder. Bestimmt wird es hier Gartenzwerge geben und Menschen, die verschroben und putzig wirken, weil sie so gewöhnlich sind. Das Premierenpublikum vom Sonntagabend lacht also und winkt. Dann kommt der „Wegewart“, ein mürrischer Mann mit schwarzer Lederweste. Er holt die Gäste zum Rundgang ab.

Zweieinhalb Stunden später, als alles vorbei ist und nur noch die Diskomusik spielt, sitzt man einigermaßen ratlos auf einem Gartenstuhl vor dem Vereinsheim. Man hat eine Menge über das Leben in der Anlage erfahren: Von den Anfängen der Laubenpieperbewegung, als Industriearbeiter das Land vor der Stadt wild besetzten und Gemüse anbauten, um ihr Überleben zu sichern. Ein paar Anekdoten aus der DDR-Zeit. Ein Mann war in einem Swimmingpool gesessen und hatte Bier getrunken. Eine Frau hatte erzählt: „Ich bin Gitti und hab’ Verkäuferin gelernt“. Einmal hatte eine Nachbarin Käsehäppchen serviert.

Das alles war ein hübsches Hintereinander. Aber es war zu wenig. Die Vorstellung ist stecken geblieben. Irgendwo zwischen den Beeten, neben der Pergola und dem Rasenmäher ist Regisseur Roland Brus der Tiefgang verloren gegangen. Statt dessen zeigt „Parzelle Paradies“ alle gängigen Klischees, die der Mensch über Kleingartenanlagen im Kopf hat. Die Kleingärtner geben sich Mühe, sie sagen ihre Sätze auf. Das ist sehr schön, aber auch sehr einfach. Und wie sich die Bewohner von Bornholm I jetzt nach der Vorstellung zur Diskomusik in den Armen liegen und lachen, wirken sie tatsächlich nur noch harmlos.

Dabei hat man es ja an den Schildern gesehen, die vor bissigen Hunden warnen. Am Stacheldraht auf den Zäunen. Und an den Gardinen, die sich bei den Nachbarn bewegten. Man hat gesehen, wie gefährlich das Leben hier sein kann. Einmal sah man im Vorbeigehen in einer Laube einen Mann sitzen. Er saß hinter den Vorhängen im dunklen Zimmer auf der Couch und hielt still. Er bewegte sich nicht. Er hörte nur auf die Geräusche.

Parzelle Paradies, Kleingartenanlage Bornholm I, Björnsonstraße, wieder am 6., 8., 10., 12. und 15. August, jeweils 20 Uhr