Das Korn der Inkas

Amaranth und Quinoa, zu Deutsch Fuchsschwanz und Gänsefuß, gehören zu den ältesten Kulturpflanzen. Jetzt blühen die diätetisch wertvollen Getreide auch auf heimischen Feldern

von HORST TAUBMANN

Gold und rot geschwänzt reift das indianische Korn in der bullerigen Augusthitze der badischen Sonne. Und bringt respektable Erträge. Anbauversuche mit Amaranth und Quinoa, die von der Landesanstalt für Pflanzenbau in Forchheim seit fünf Jahren durchgeführt werden, haben es bewiesen: Die diätetisch wertvollen Körnerpflanzen der alten indianischen Hochkulturen lassen sich auch hierzulande gut kultivieren.

Dort, wo Wein, Tabak und Mais gedeihen – etwa in der klimatisch begünstigten Region am Oberrhein –, wäre der Anbau des Inkagetreides sogar eine zukunftsweisende Alternative zu den dominierenden Leitkulturen des badischen Südwestens wie Mais und Tabak, die hier in chemiegestützten Monokulturen das Landschaftsbild veröden.

Amaranth ist gesundheitsbewussten Naturköstlern als Müsli-Mischung geläufig: ein imposantes, mannshohes Fuchsschwanzgewächs mit armlangen gold- bis purpurroten Fruchtständen, in denen die kleinen Körner sitzen. Es gibt Zierformen für den Garten, die sich in den letzten Jahren in der subtropischen Region um den Kaiserstuhl selbst ausgewildert haben und hier als zugewanderte Indios die einheimischen Trockenrasen-Biotope bereichern.

Aber erst in der Hand des Agrariers läuft der Fuchsschwanz zur Hochform auf. Im Feldanbau bringt Amaranth bis zu drei Tonnen wertvolle Kornfrucht pro Hektar. Das entspricht zwar nur einem Drittel einer herkömmlichen, chemisch hoch gepuschten Getreidesorte. Dafür ist der Erlös für das ernährungsphysiologisch wertvolle Korn um das Siebenfache höher als zum Beispiel beim Weizen. Der österreichische Großabnehmer „Life-Power“ zahlt derzeit einen ganzen Euro pro Kilogramm Bio-Amaranth von guter Qualität.

Es sind vor allem die ökologischen Aspekte des Amaranth-Anbaus, von denen die Agrarleute der Forchheimer Landesanstalt für Pflanzenbau fasziniert sind. Amaranth ist, was Düngung angeht, äußerst genügsam und kennt so gut wie keine Krankheiten. Auch gegenüber Schädlingen ist die Pflanze sehr robust. Die Indiokultur liefert ihre Spitzenerträge ohne Kunstdünger und Pestizidkeule – ideale Bedingungen also für den Ökoanbau, der uns gesunde, geschmacklich hochwertige Kost von giftfreien Feldern liefern soll.

Auf eine arbeitsintensive mechanische Bekämpfung kann nicht verzichtet werden. Unkraut vernichtende Herbizide sind für Amaranth und Quinoa derzeit nicht zugelassen. Den Arbeitsaufwand für händische Pflegemaßnahmen beziffern die Pflanzenforscher auf sechzig Personenstunden pro Hektar. Dafür müssen kurzfristig entsprechende Arbeitskräfte bereitstehen. Ein anderes Problem ist die notwendige Trocknung. Die Körner müssen innerhalb von 24 Stunden nach der Ernte auf zehn Prozent Wassergehalt getrocknet werden.

Erstaunlich, dass die Indiokörner bei aller Robustheit und genetischen Ursprünglichkeit dennoch durchaus maschinenfreundlich sind. Sie können bei ausreichender Kornreife mit dem ganz normalen Mähdrescher geerntet werden. Aufhorchen lässt noch ein anderes Ergebnis der Forchheimer Feldversuche: Statt Inkakorn zu säen, lassen sich auch vorgezogene Setzlinge im maschinellen Pflanzverfahren aufs Feld bringen. Weiträumig, in leicht zu bearbeitende Reihen gestellt, bringen solche Pflanzungen einen üppigeren Fruchtansatz und Mehrerträge bis zu fünfzig Prozent. Das wird die experimentierfreudigen Gärtner freuen, die sich Amaranth und Quinoa fürs Morgenmüsli mit der Hand heranziehen möchten. Das eröffnet aber auch neue agrartechnische Ausblicke.

Die Setzlinge lassen sich nämlich für den großflächigen Feldanbau problemlos mit jenen Maschinen pflanzen, die von badischen Tabak- und Gemüsebauern verwendet werden. Schon sehen Optimisten statt Pfeifentabak und Hybridmais im Badischen großflächig gold und rot geschwänzten Amaranth heranreifen. Derzeit wurden für die beiden „Pseudocerealien“, also getreideähnlichen Körnerfrüchte, zirka fünfzig Hektar Anbaufläche gezählt – von den warmen Regionen des Kaiserstuhls bis hoch nach Braunschweig oder Münsterland. In den kälteren Zonen kommt vor allem Quinoa auf den Acker.

Während Amaranth als so genannte C4-Pflanze wärmeliebend und trockenheitsresistent ist, gedeiht Quinoa auch in kühleren und feuchteren Gebieten. Dort, wo als Leitkultur die Kartoffel wächst, also auch in den raueren Lagen der Mittelgebirge, wäre der Gänsefuß eine gute Alternative. Unter Nutzung der unterschiedlichen Klimazonen könnten die beiden Gewächse quer durch Europa blühen – wahrhaft revolutionäre Aussichten. Damit, so glauben Ökobauern und Forchheimer Wissenschaftler, wären Nahrungsreserven von höchster Wertigkeit verfügbar.

Inkakorn ist, was seine Gehalte an Proteinen, ungesättigten Fettsäuren, Mineralstoffen und Vitaminen angeht, wertvoller als die Getreidearten der Alten Welt. Im Gehalt an Kalzium, Magnesium und Eisen übertrifft es alle etablierten Getreidearten. Das feine Amaranth- Pflanzenöl gilt als kulinarischer Geheimtipp.

Und: Amaranth und Quinoa sind frei von Klebereiweiß, enthalten also nicht jenes Gluten, das für Zöliakie- und Neurodermitiskranke in der herkömmlichen Getreidenahrung zum Problem geworden ist. Das erklärt die steigende Nachfrage auf dem Naturkostmarkt.

Doch der Bedarf ist gegenwärtig nur durch Importe zu decken. Die Einfuhren kommen aus Amerika, Ungarn und Österreich, wo Inkagetreide schon felderweit wächst. In Deutschland lässt die Agrarwende noch auf sich warten. Trotz der überraschenden Anbauerfolge auf den Versuchsfeldern im badischen Forchheim und vielen neugierigen Anfragen nach dem Inkakorn haben sich nur wenige Landwirte auf den professionellen Anbau von Fuchsschwanz und Gänsefuß eingelassen. Im hitzigen Badnerland reifen die geschwänzten Exoten auf den Äckern von bislang acht experimentierfreudigen Bauern heran, farbige Tupfer in den Tabak- und Maiswüsten des Oberrheins.

HORST TAUBMANN ist Journalist im badischen Gengenbach und außerdem Ökobauer auf einem Weidehof mit Schafen und Galloways