Niki – was sonst?

Leicht konsumierbar und doch Avantgarde: Hannover stützt sich gnadenlos auf seinen einzigen kulturellen Imageträger. Saint-Phalle-City feiert jetzt im Sprengel Museum mit einer neuen Schau die „Entstehung der Nanas“

Demonstrations-Objekte: Die Nanas waren Teil eines Programms, das Hannover – schon damals – ein neues Image geben sollte

aus Hannover KAI SCHÖNEBERG

Hübsch gemütlich und knallebunt, sagen die einen, aggressiv und feministisch schimpfen die anderen, ästhetisch ungelungen, oldschool und dröge sagen Dritte, genial, satirisch und befreiend seien die Nanas und Niki de Saint Phalle überhaupt, betont hingegen die Hannover-Fraktion. Die angeblich so betonschwanger-langweiligste Stadt des Planeten setzt auf „Niki“ – auf was auch sonst?

Hier ist Ex-Expo, Cebit, Maschsee und Kanzler-Stadt, in den vergangenen Jahren setzte Hannover aber auch immer stärker auf seinen einzigen kulturellen Imageträger: Niki de Saint Phalle.

Zwar ist die Künstlerin in Frankreich geboren und in Kalifornien gestorben, aber immerhin hat Hannover de Saint Phalle einen Kunstskandal zu verdanken. Nachdem sie hier 1969 eine ihrer ersten großen Einzelausstellungen hatte, ließ der Oberstadtdirektor 1974 drei ihrer voluminösen Frauen-Figuren samt wetterfestem Polyester-Bezug an der Leine aufstellen: Charlotte, Sophie und Caroline.

Das gab Krach: Viele Hannoveraner empfanden die üppigen Medusen als frauenfeindliche Provokation. Andere rümpften wiederum das Bürger-Näschen, weil die drei Damen zwar schrill, aber dafür splitternackt sind. Es gab sogar Demonstration für und wider die Kunstobjekte.

Die Nanas waren Teil eines Programms, das Hannover – schon damals – ein neues Image geben sollte. Angefangen hatte alles 1970. Zunächst versuchte Imagepfleger Mike Gehrke, mit einem Flohmarkt am Leineufer etwas mehr Flair in die Stadt zu zaubern. Doch die Stadtoberen an der Leine wollten „echte“ Kultur. So kam es, dass neben dem Flohmarkt die Nanas aufgestellt wurden. Kostenpunkt damals: 150.000 Mark.

Weil ihr Werk leicht konsumierbar und doch Avantgarde ist, weil es so viele verschiedene Niki-Fraktionen gibt, weil sich die Stadt so gnadenlos auf ihren Imageträger stützt und Schwitters, Leibnitz und die Welfen nicht mehr wirklich up to date sind – vielleicht ist Hannover deshalb heute Saint Phalle-City. Jedenfalls sind die drei Nanas – eine harrt derzeit abmontiert ihrer Restaurierung – sind weit vor Doris Schröder-Köpf die beliebtesten Damen der Stadt.

Der Hype scheint kaum stoppbar: Die einst olle Pasarelle am Bahnhof heißt jetzt frisch renoviert Niki de Saint Phalle-Promenade, seit dem Frühjahr gibt es die Saint Phalle-Grotte inmitten der barocken Herrenhäuser Gärten. In den nach Niki-Plänen umgestalteten Teil der barocken Herrenhäuser Gärten pilgerten bereits 250.000 Besucher. Und: Imageträgerin de Saint Phalle wurde im Jahr 2000, zwei Jahre vor ihrem Tod, zur „ersten Ehrenbürgerin der Stadt, stellvertretend für alle Frauen“.

Klar, dass das „Nikis Boyfriend“ OB Herbert Schmalstieg (SPD) bei der Pressekonferenz zur neuen Ausstellung des Sprengel Museums betonen musste. Titel der Schau: „Die Geburt der Nanas. Die Kunst der Niki de Saint Phalle in den 1960er Jahren“.

Die Ausstellung solle deutlich machen, was für eine „komplexe, ambitionierte und politisch engagierte Künstlerin“ de Saint Phalle gewesen sei, sagte Kurator Ulrich Krempel. Und, so lobt das Sprengel Museum: Niki sei „im besten Sinne populär, wie sonst wohl nur Picasso“.

Die Objekte der Schau stammen zum größten Teil aus der großen Schenkung, die die Saint Phalle der Stadt im Jahr 2000 machte. Zu sehen ist der Weg, den die Künstlerin von der Tabu zerschießenden „Diana vom Montparnasse“ zur Erschafferin der Nanas zurücklegte. Das „Portrait of my Lover“ von 1961 zeigt ein Hemd mit Schlips, über dem eine Dartscheibe statt Kopf hängt, „beschossen“ mit Farbbeuteln. Damals sollen Ausstellungsbesucher tatsächlich mit Darts auf den Scheibenkopf haben „schießen“ dürfen.

Die Dekonstruktion des Hausmütterchen-Klischees aus den muffigen 50ern zeigt auch „Birth“, das Relief eines Frauentorsos, aus dem eine Kinderpuppe krabbelt.

Für weniger Niki-Afine gibt es im Sprengel parallel eine kleinere Schau von quasi geistigen Enkelinnen der Künstlerin: „Nice and easy“ zeigt Werke der Nach-Niki-Generation. Schade, dass von den frischen „Postfeministinnen“ wie Lily van der Stokker, Pippilotti Rist, Anna Jermolaewa, Chantal Michel und Lara Schnitger nicht mehr zu sehen ist.

„Die Entstehung der Nanas“: Bis 2. 11., dienstags 10 - 20, mittwochs bis sonntags von 10 - 18 Uhr im Sprengel Museum Hannover