BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Eine Frau sieht rot

Einmal im Monat genoss ich ein unbeschwertes Tampongefühl. Ich hatte ja keine Ahnung: Es hätte mich töten können

Tampons. Kann man, darf man über so etwas Intimes schreiben? Aber hallo. Man muss. Ich muss. Denn es ist ein Thema von großer Bedeutung. In Zeiten von Arbeitslosigkeit und Zukunftsängsten bescheren wenige Quadratzentimeter Watte, gepresst in Rillenform und mit runder Kuppe, Frauen in Ost und West ein unbeschwertes Lebensgefühl. Zumindest einmal im Monat für einige Tage.

Als ich mich das letzte Mal diesem Lebensgefühl hingab, machte ich eine schlimme Entdeckung. Mein Blick fiel auf drei Großbuchstaben auf der Tamponpackung, die ich noch nie zuvor beachtet habe. TSS. Toxic Shock Syndrome. Ich hatte gedacht, im Zivilschutzunterricht in der DDR den Umgang mit allen Katastrophen dieser Welt gelernt zu haben. Auf ein giftiges Schocksyndrom, hauptsächlich verursacht durch böse Bakterien, die in extrem saugfähigen Tampons gedeihen, wurde ich nicht vorbereitet.

Vom toxischen Schock geschockt, blieb ich auf der Toilette sitzen und las den „wichtigen Gesundheitshinweis zum TSS“ und den typischen Symptomen: plötzlich auftretendes Fieber, Erbrechen, Durchfall, sonnenbrandähnlicher Hautausschlag, Halsschmerzen, Schwindel- und Ohnmachtsanfälle. „In seltenen Fällen kann TSS zum Tode führen.“ Ich stellte mir meine Grabinschrift vor: „Unsere geliebte Barbara ist von uns gegangen. Ein Westtampon bereitete ihrem jungen Leben ein Ende.“

Während ich mir meinen Grabstein in Rillenform mit runder Kuppe vorstellte, wurde mir bewusst, dass ich der sozialistischen Produktion jahrelang Unrecht getan habe. Von wegen unzumutbare Monatshygiene, die es nur unter dem Ladentisch gab. Honecker & Co wollten nicht unser Freiheitsgefühl beschneiden. Sie haben die Tampons extra hart gemacht, damit sie möglichst wenig saugfähig sind, und sie haben die Produktion gedrosselt, weil sie eine mögliche Infizierung mit TSS unterbinden wollten.

Unterbinden. Apropos Binden. Auf einer Busfahrt von Havanna an die Strände in Varadero neulich bekam ich unverhofften Besuch. Bei einem Zwischenstopp bemerkte ich das Malheur. Mit zusammengepressten Beinen betrat ich einen Laden, in dem es von Westprodukten wimmelte. Die Verkäuferin erwiderte meine Frage nach Tampons mit einem mitleidigen Blick und heftigem Kopfschütteln.

Ich fragte sie, ob Sie mir nicht helfen könnte, von Frau zu Frau. Verschwörerisch griff sie in ihre Handtasche und holte etwas heraus, was wie ein dicker, gepolsterter Umschlag aussah. Verwundert griff ich zu. Es war eine Binde. Eine Monatsbinde. Eine Monsterbinde. Als ich von der Toilette zurückkam, hatte ich das Gefühl, auf einem schwankenden Schiff zu laufen.

Die Tamponsuche in Varadero kostete mich 15 Dollar. Nicht das unbeschwerte Lebensgefühl war so teuer, sondern die Taxifahrten für die Suche danach. Gefunden habe ich nur Monsterbinden. Notgedrungen habe ich versucht, der Sache positive Aspekte abzugewinnen und sah es als Sport an, im Affenzahn ins Wasser zu rennen, um keine Blutspur am Strand zu hinterlassen. Kaum war ich wieder draußen, packte ich ein Monster in die Hose. Die Binden hatten, so redete ich mir ein, einen zweiten Vorteil.

Es bestand nicht die Gefahr, den Faden zu verlieren. In der DDR sind nämlich regelmäßig die Bändchen an den Tampons gerissen. Statt in ferne Länder zu fahren, musste ich mich dann auf beschwerliche Reisen in mein innerstes Ich begeben.

Der Gebrauch von Tampons im Osten war also kein Zuckerschlecken. Aber im Westen ist wirklich nicht alles Gold, was glänzt.

Ausgerechnet im Westen, wo es viel zu viel im Überfluss gibt, steht in der Bedienungsanleitung: „Bitte achten Sie darauf, dass Sie immer nur einen Tampon zur gleichen Zeit verwenden.“

Und ich hatte gedacht, dass ich so viele Tampons in mich reinstopfen kann, wie ich will. Kann ich offenbar nicht, wenn ich nicht dieses komische Schocksyndrom kriegen will. Dann gibt es nächsten Monat eben ein Blutvergießen. Tss, tss.

Fotohinweis: BARBARA BOLLWAHN ROTKÄPPCHEN Fragen zum TS-Syndrom? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Dribbusch über GERÜCHTE