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Archiv-Artikel

„Generation 30 minus“

betr.: „Schöner altern mit der taz“, taz vom 30. 7. 04

Bravo, jetzt habt ihr es verstanden. Alt werden und alt sein ist kein persönliches oder nationales Unglück. Es ist einfach ein biologischer Prozess, der jeden trifft. Es sei denn, er oder sie stirbt jung. […]

Jetzt müsst ihr nur noch den Rest der Nation davon überzeugen, dass der Begriff „Generation 50 plus“ gegenüber allen Fünfzig- bis Hundertjährigen eine Unverschämtheit ist. Man kann doch nicht alle diese unterschiedlichen Lebensalter und Lebensformen in einen Topf werfen und dann über deren Bedürfnisse beratschlagen!

Vielleicht könnte man im Gegenzug aber auch die Jungen als „Generation 30 minus“ bezeichnen. Wäre sicherlich interessant zu erfahren, wie ein 25-jähriger Student sich fühlt, den man bevölkerungspolitisch oder sozialpolitisch in eine Schublade mit Gymnasiasten oder Kindergartenkindern steckt.

Aber ganz im Ernst: Altersdiskriminierung nimmt in unserer Gesellschaft zu. Auch wenn es nur Kleinigkeiten sind wie die Formulierung: Sie arbeiten noch? Oder eine Gruppe Arbeitskollegen, die sich nach Büroschluss noch mal treffen will – KollegInnen über 45 werden erst gar nicht gefragt! […]

Wie auch immer: In Deutschland tobt zurzeit (noch) kein Krieg der Generationen. Deutschland braucht aber mehr Menschen mit sozialer Kompetenz, egal welchen Alters. […]

ANNETTE NELLEN, Krefeld

Ich fürchte, dass das Doppelmotto: „Die Alten sind gar nicht so“ und „Die Alten haben’s drauf“ verbunden mit mehr Fröhlichkeit beim Altern nicht reichen, um die Probleme, die unser Kapitalismus nun mal mit den Älteren und Alten hat und diese dann folglich auch mit ihm, anzugehen. Dazu ein kleiner Gedankenflug:

Wir sind kühn und behaupten: Unsere Wirtschaftsweise – vulgär Kapitalismus genannt – verträgt sich mit deutlich mehr Älteren gar nicht so gut. Mit Jüngeren verträgt sie sich schon besser, aber auch nicht wirklich. Der Demografische Wandel als weitere Alterung unserer Gesellschaft steht zu Recht als alarmierendes Schreckbild da. Was veranlasst uns zu solchen unliebsamen Behauptungen?

Deutlich mehr Ältere passen als Konsumenten nicht zu einer Wirtschaftsweise, die von dauernden (Schein-)Innovationen lebt und die jeweils neuesten Waren fetischisiert. Ihnen fehlt einfach die Begeisterung, den jeweils neuesten „Schrott“ zu kaufen. Sie sind markentreu und ähnliches Schlimme mehr. […] Deutlich mehr Ältere passen auch als Produzenten gar nicht gut zu dieser Wirtschaftsweise und schon gar nicht zu deren neueren Sektionen mit ihren Rund-um-die-Uhr-Arbeitern, „Arbeitskraftunternehmer“ und „Hochflexiblen“. Weil: So was hält ja keiner lange durch und aus.

Vielleicht ist es ja möglich, das (Schein-)Innovationstempo der Wirtschaft oder das Veralterungstempo von Menschen zu verlangsamen oder die Älteren zum „Markenhopping“ umzuerziehen. Aber uns schwant: Das wird schwer werden.

Und noch etwas: Deutlich mehr Ältere und auch „Hochbetagte“ lassen sich nicht mehr so leicht verstecken. Sie kommen nicht nur mit Rolatoren auf die Straße und in die Läden, nein, sie belästigen uns sogar dadurch, dass sie selber und ihre guten Freunde und Anwälte sie zum Thema machen. Damit droht sichtbar zu werden, was uns bislang Menschen im höheren Lebensalter wert sind (nicht viel, siehe Pflege), und auch, wie wir mit dem Sterben umgehen (nicht gut). Das zu ändern, wird ebenfalls eine heiße Sache. Wenn wir diese gar nicht so kleinen Probleme nicht gut drauf haben und wenn wir sie nicht angehen, werden wir wohl weiter vom Horror „alternde Gesellschaft“ verfolgt werden. Wir sind nicht bange, und deshalb sagen wir: Horrorvision? Ja bitte! Das schließt natürlich den Willen zum fröhlichen Altern nicht aus. JÜRGEN STRAUSS, Dortmund

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.