Scharf, schärfer, Bremen?

Das Meldewesen boomt: Nirgendwo in der Bundesrepublik werden so viele jugendliche Arbeitslose beim Sozialamt gemeldet, wenn sie Angebote des Arbeitsamtes nicht wahrnehmen. Welche Folgen das aber hat – darüber „hat niemand den Überblick“

Bremen taz ■ Fördern und Fordern. Diese Schlagworte wurden mit dem Jobaktiv-Gesetz 2002 geboren. Empfänger von staatlichen Hilfeleistungen verstehen sie oft als Drohung: Lehnen sie Arbeitsangebote ab, könnte das finanzielle Folgen haben. Sozialhilfe darf Verweigerern gekürzt werden. Besonders junge Menschen bis 25 Jahre stehen im Fokus von Maßnahmen, beispielsweise beim „Sofort-Programm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit“. Doch nun stellt sich heraus: Kein Mensch weiß, ob Fördern und Fordern, das Melden möglicher Arbeitsflüchtlinge und das Kürzen ihrer Sozialhilfe, bei jungen Leuten außer Einsparungen irgend etwas bewirkt.

„Niemand hat den Überblick.“ Das jedenfalls sagt die Sprecherin der Bremer Sozialbehörde, wenn man sie nach dem Schicksal von 265 Bremer Jugendlichen fragt. 265-mal, so oft hat das Arbeitsamt im vergangenen ersten Halbjahr 2003 dem Amt für Soziale Dienste die Namen von Jugendlichen gemeldet, die sich vermeintlich nicht recht fördern lassen wollten. Dies sieht Artikel 17 der Sofortprogramm-Richtlinien vor, der lautet: „Bei Jugendlichen, die Sozialhilfe beziehen, hat das Arbeitsamt im Falle der unbegründeten Verweigerung der Teilnahme oder des unbegründeten Abbruchs von Maßnahmen den Träger der Sozialhilfe zu unterrichten.“ Wer also Qualifizierungs-Kurse oder ABM ablehnt, dem droht die gekürzte Sozialhilfe. „Darüber entscheidet der Fallmanager im Sozialzentrum“, sagt die Behördensprecherin. Was der entscheidet, entzieht sich ihrer Kenntnis.

Bekannt ist dagegen, dass Bremen mit diesen 265 Meldungen einen Bundes-Rekord hält. „Eine hervorragende Spitzenposition“, wie Paul Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung errechnet hat: Mit 265 Meldungen im Land Bremen, von denen nur 15 Bremerhaven betreffen, schließt das kleinste Bundesland mit Baden-Württemberg auf. Im Ländle kamen auf 2.253 Kurs- oder Arbeitsangebote für junge Stütze-Empfänger 291 Meldungen. In Bremen waren es 265 Meldungen, wobei Stütze-EmpfängerInnen nur 1.255 Angebote gemacht wurden. Das sind ungefähr so viele Angebote wie im Saarland – wo dem Sozialamt aber nur 27 junge Leute gemeldet wurden. Der Vergleich mit Hamburg ergibt: Bremen meldet 50 Prozent mehr – und zehn Prozent mehr als Berlin. Das jedenfalls belegt die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit. Forscher Schröder rätselt, wie diese Unterschiede zu erklären seien. „Immerhin machen die Bremer Meldungen 6,2 Prozent aller Meldungen bundesweit aus.“

Auch im Arbeitsamt weiß man dafür keine Erklärung – „und wir kennen auch die Folgen der Meldungen nicht“, sagt Abteilungsleiter Hans-Jürgen Lüschen. Doch weiß man dort, dass im selben Zeitraum 123 jungen Menschen Arbeitslosengeld oder -hilfe gesperrt wurde. Das ist immer noch doppelt so viel wie im selben Zeitraum im Saarland – entspräche aber der Sperrpraxis in Hamburg. ede