Gut schrauben reicht nicht

Trotz Lehrstellenmangels sind tausende Ausbildungsplätze unbesetzt. Wirtschaft klagt über Defizite bei Bewerbern. Gleichzeitig wachsen die Ansprüche der Betriebe. Azubis müssen ihr Geld verdienen

von JAN ROSENKRANZ

Noch immer keinen Ausbildungsplatz gefunden? Nur Absagen kassiert? Das muss nicht nur am Lehrstellenmangel liegen oder daran, dass nur ein Drittel aller befähigten Firmen tatsächlich ausbildet. Ende Juli waren laut Arbeitsamt in Berlin noch immer 3.800 Stellen unbesetzt und neuerdings wird zurückgemeckert. Die Wirtschaft klagt über die schlechte Qualität der Schulabgänger.

„Etwa 15 Prozent aller Bewerber sind aufgrund mangelnder fachlicher und sozialer Kompetenz für eine Ausbildung gar nicht geeignet“, sagt Stefan Siebner, Sprecher der Berliner Industrie- und Handelskammer. Laut einer Umfrage haben bundesweit sogar 37 Prozent aller Firmen zu wenige oder gar keine passenden Bewerber gefunden. Hat der Pisa-Knick den Arbeitsmarkt erreicht? Sind Schulabgänger zu dumm für eine Berufsausbildung?

„Viele Kollegen haben das schon vor 30 Jahren gesagt“, sagt Manfred Preuss. Er glaubt das nicht. Er muss es wissen. Er ist seit 1972 Berufsschullehrer für Rechnungswesen und Sozialkunde und unterrichtet am Oberstufenzentrum Handel in Kreuzberg. Klagen über schlechtes Lesevermögen und mangelnde Mathematikkenntnisse seien zwar berechtigt, die gebe es aber schon länger. Auffälliger sei dagegen das geringe Konzentrationsvermögen.

„Man muss richtig ackern, um die Schüler bei der Stange zu halten“, sagt Preuss. Außerdem scheint sich das SMS-Deutsch auch in der normalen Kommunikation durchzusetzen. Er bekomme statt vollständiger Sätze, berichtet Lehrer Preuss, eigentlich „nur noch Brocken hingeworfen“. Kundengespräche lassen sich so schlecht führen. Doch genau das erwarten viele Betriebe von ihren Azubis.

„Die Auswahlkritierien sind strenger geworden“, bestätigt Dieter Rau, Geschäftsführer der Berliner Innung des Kraftfahrzeuggewerbes. Die alte Regel: Der hat zwar keine guten Noten, kann aber trotzdem ein guter Handwerker werden, gelte heute nicht mehr. So hätten sich einige KFZ-Betriebe trotz zwanzig Bewerbungen dazu entschieden, lieber keinen Azubi einzustellen. „Da waren bestimmt gute Schrauber darunter, aber wenn es um die Naturwissenschaften geht, ist oft Schluss“, sagt Rau. Neben mangelnden schulischen Leistungen habe auch das Auftreten Anlass zur Klage geboten.

Martin Krüger, Lehrlingswart bei der Berliner Gebäudereiniger-Innung, musste seine Erwartungen „sehr weit zurückschrauben.“ Sogar bei Realschulabgängern könne er oft nur noch den Kopf schütteln. Wie alle bemängelt auch Krüger fehlende Deutsch- und Mathekenntnisse.

Auch bei Karstadt hat man festgestellt, dass „die schulischen Leistungen der Bewerber schlechter waren als in den Vorjahren“, sagt Personalleiterin Susanne Krusch. Unter den 2.000 Bewerbungen habe man jedoch problemlos 75 geeignete finden können. Auch für andere Großunternehmen ist der Abwärtstrend noch unproblematisch. So konnte auch die Schering AG ihre über 100 Plätze füllen. Dennoch kann auch Unternehmenssprecher Robert Ungnad bestätigen: „Es gibt gewisse Qualitätseinbußen.“

Kleinere Firmen haben darunter aber eher zu leiden. Sie tun sich schwerer, geeignete Kandidaten zu finden. Denn die Anforderungen sind nicht nur in fachlicher Hinsicht gestiegen. „Die heutigen Azubis sind viel stärker als früher in die Wertschöpfungskette einbezogen“, hat Berufsschullehrer Preuss beobachtet. Im Klartext: Azubis müssen ihr Geld verdienen. „Oftmals wird gar nicht ausgebildet, sondern gleich hart gearbeitet.“