80 Milliarden Euro neue Schulden

Bundesfinanzminister meldet ein Staatsdefizit von 3,8 Prozent für 2003 nach Brüssel. Maastricht-Vertrag zum zweitenMal verletzt. Die EU-Kommission reagiert zurückhaltend. Union prognostiziert weiteren Anstieg in Richtung 5 Prozent

aus Berlin HANNES KOCH
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Zum zweiten Mal in Folge macht Deutschland weit mehr Schulden, als der europäische Vertrag von Maastricht erlaubt. Das hat Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) gestern nach Brüssel melden lassen. Während der Maastricht-Vertrag vorschreibt, dass jeder Staat im Verhältnis zu seinem Bruttoinlandsprodukt maximal 3 Prozent neue Schulden aufnehmen soll, liegt die deutsche Zahl dieses Jahr bei 3,8 Prozent.

Um die Ausgaben zu decken, brauchen die öffentlichen Haushalte 2003 Kredite von rund 80 Milliarden Euro. Davon fallen etwa 38 Milliarden Defizit beim Bund an, 29 Milliarden bei den Ländern, 7 Milliarden bei den Kommunen und etwa zwei Milliarden bei den Sozialversicherungen. Hinzu kommen Sonderposten wie die ehemalige Treuhand. Der Grund liegt in der wirtschaftlichen Stagnation und der gestiegenen Arbeitslosigkeit.

Eichels Defizit im Bundeshaushalt ist ungefähr genauso groß wie der Nachkriegsrekord von CSU-Finanzminister Theo Waigel 1996. Der kam damals auf rund 80 Milliarden Mark. Die Union schätzt währenddessen, dass Eichels Zahlen noch geschönt sind. Bayerns Finanzminister Kurt Falthauser (CSU) hält ein Defizit von 93 Milliarden Euro in 2003 für nicht ausgeschlossen. Die Schuldenquote betrüge dann rund 4,5 Prozent.

Unter Ökonomen gehen die Meinungen auseinander: Während Gustav Adolf Horn vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung den Verstoß gegen Maastricht für „zwangsläufig“ hält, wirft Harmen Lehment vom Institut für Weltwirtschaft Eichel vor, in den „guten Jahren 1999 und 2000“ nicht genug gespart zu haben.

Nächstes Jahr soll aber alles wieder besser werden, sagt der Minister: Dann werde er das Defizit wieder unter die Maastricht-Grenze drücken. Die EU-Kommission wollte die neuesten Zahlen aus Deutschland gestern nicht kommentieren. Zu möglichen Auswirkungen für das Jahr 2004 wollte die Kommission ebenfalls nicht Stellung nehmen. Man gehe davon aus, dass die von der Regierung vorgeschlagenen Strukturreformen bald vom Parlament gebilligt würden. Dann könnte Deutschland 2004 unter der Schwelle von 3 Prozent bleiben, hofft die Kommission.

Währungskommissar Pedro Solbes, der sich bislang als kompromissloser Hüter des Stabilitätspakts gezeigt hatte, ist wegen des Finanzskandals um das ihm unterstehende Statistikamt Eurostat politisch angeschlagen. Schon in der Vergangenheit hatte er erleben müssen, dass eine große Koalition der Schuldenmacher im Finanzministerrat Strafbeschlüsse der Kommission blockiert. Da Frankreich im laufenden Jahr ebenfalls den Stabilitätspakt verletzt, teilt es das deutsche Interesse daran, den Pakt nicht allzu strikt auszulegen. Bislang hatte Solbes gegen diese Doppelmoral immer deutlichen Protest eingelegt. Mit dem Eurostat-Skandal sitzt er nun selber im Glashaus und wird sich hüten, Hans Eichel und den französischen Finanzminister Francis Mer mit Steinen zu bewerfen.