DDR hat gründlicher aufgeräumt

Rechtsexperten überraschen mit provokanten Thesen zum Umgang mit der NS-Justiz

BERLIN taz ■ Die Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus sind in DDR und BRD nach dem Krieg mit unterschiedlicher Gründlichkeit aufgeklärt worden. Diesen Standpunkt vertrat Christiaan F. Rüter, Professor der Universität Amsterdam, während einer rechtspolitischen Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin, die gestern zu Ende ging. Im Westen seien nach dem Zweiten Weltkrieg mehr NS-belastete Juristen untergekommen als in der DDR, stellte der niederländische Jurist außerdem fest. Auffällig sei zudem die Schonung der Wehrmacht in der BRD.

Rüter hat ein zwanzigbändiges Werk über den Umgang mit NS-Verbrechen in Ost- und Westdeutschland geschrieben. In seinem Vortrag unterstrich er, dass ein Großteil der Verbrechen der NS-Zeit – darunter Auschwitz und Treblinka – auf ausländischem Boden verübt wurden. Auslandsstraftaten seien von Staatsanwälten in BRD und DDR kaum verfolgt worden. Zum Aufspüren von Verbrechen im Ausland habe den Staatsanwaltschaften schlicht das Instrumentarium gefehlt. Für beide deutschen Staaten gelte: „Schreibtischtäter wurden kaum belangt und Massenvernichtung nicht gerade überzeugend verfolgt.“

Helmut Kramer vom „Forum Justizgeschichte“ in Wolfenbüttel beklagte, dass viele NS-Juristen im Westen straffrei ausgegangen seien. Dieselben Richter, die für 60.000 Todesurteile gegen „Volksschädlinge“ in der NS-Zeit verantwortlich waren, hätten nach dem Krieg sogar eine neue Juristengeneration ausgebildet. Dagegen sei in der DDR fast die gesamte Justiz ausgetauscht worden.

Ohne Probleme ist die Entwicklung jedoch auch in der DDR nicht verlaufen. „Die Richter der ‚Waldheim-Prozesse‘ waren größtenteils umgeschulte Handwerker“, erklärte Kramer. In Waldheim waren 1950 knapp 3.500 Inhaftierte wegen „faschistischer Vergehen“ vor Gericht gestellt worden. Übliche Prozessregularien wurden übergangen. Mit den 32 verhängten Todesurteilen sollte dem Bestrafungswillen der DDR Ausdruck verliehen werden.

Der Niederländer Rüter fügte hinzu: „Die DDR-Urteile der Fünfzigerjahre waren nicht ungerecht, aber schlampig.“ Es sei jedoch falsch, zu behaupten, dass die DDR-Justiz nie über den Stand von Waldheim hinausgelangt sei. Dies zeige sich in der Aufarbeitung der DDR-Rechtsprechung nach der Wende. Von den 106 Rehabilitationsverfahren, die nach 1990 eingeleitet wurden, führten nur 13 zu dem Ergebnis, die Justiz habe „voll rechtsstaatswidrig“ gehandelt.

Im Bezug auf die Aufarbeitung der DDR-Geschichte rief Helmut Kramer zum Nachdenken darüber auf, wie man in der heutigen Bundesrepublik mit dem Unrecht der DDR-Justiz umgehen solle. Als gefährlich bezeichnete er die zum Teil große „Selbstgefälligkeit“ der westdeutschen Juristen, die über Vergehen ihrer ostdeutschen Kollegen entscheiden. Seit 1990 habe es 32 Verurteilungen von Richtern und Staatsanwälten der DDR wegen Rechtsbeugung gegeben. Die Urteile seien allesamt von westdeutschen Richtern verhängt worden. LAURA MÜLLER