Nicht jeder kann bis 67 durchackern

DGB befürchtet „ausgefranste“ Erwerbsbiografie durch Rürup-Rentenpläne. Engelen-Kefer: Reformen gehen an denMenschen vorbei. Bert Rürup: Rentenpläne müssen notfalls auch gegen den Willen der Gewerkschaften umgesetzt werden

BERLIN taz/dpa ■ Nach Vorlage des Abschlussberichts der Rürup-Kommission ist in Deutschland ein heftiger Streit über die Rentenreform entbrannt. Vor allem die vorgeschlagene Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bis zum Jahre 2035 wurde von Verbänden und Gewerkschaften heftig kritisiert. Der Vorsitzende der Kommission, Bert Rürup, forderte in einem Interview, die Reform auch gegen den Willen der Gewerkschaften durchzusetzen.

Im Falle einer Umsetzung der Reformvorschläge kommt auf die Menschen in Deutschland eine längere Lebensarbeitszeit und ein geringerer Zuwachs bei der Rente zu. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte nach Vorlage des Berichts der Kommission zur Reform der Sozialsysteme betont, man werde die Unterlagen „seriös auswerten“ und danach rasch entscheiden. Notwendig sei ein Gesamtkonzept. Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) sicherte eine Prüfung zu, ließ aber offen, welche Vorschläge sie übernehmen will.

Rürup verlangte ein Umsetzen der Reform auch ohne Zustimmung der Arbeitnehmervertreter. „Die Gewerkschaften haben auch die Agenda 2010 nicht mitgetragen“, sagte er der Financial Times Deutschland. Rürup zeigte sich zuversichtlich, dass der von seiner Kommission vorgeschlagene Nachhaltigkeitsfaktor bei der Rentenberechnung „bereits in diesem Herbst“ beschlossen werde. Auch die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 von 2011 an solle dann verabschiedet werden.

Der Sozialverband VdK warnte dagegen vor einer Umsetzung der Rürup-Vorschläge. Bereits 2005 sei für Senioren eine Minusrunde zu erwarten. „Rürup steuert die Altersbezüge in Richtung Sozialhilfe“, sagte VdK-Präsident Walter Hirrlinger der Chemnitzer Freien Presse.

Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion Krista Sager befürwortet hingegen die für 2035 geplante Rente ab 67. Die ältere Generation sei zu Unrecht verunsichert, denn betroffen wären die heute 30- bis 35-Jährigen, so Sager. „Ich persönlich bin dafür, dass wir diesen Vorschlag unterstützen.“

Die DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer hatte zuvor kritisiert, die Rürup-Kommission habe die „Arbeits- und Lebensverhältnisse der Menschen nicht ausreichend“ berücksichtigt.

„Die formale Verlängerung der Erwerbsphase über ein höheres gesetzliches Rentenalter ohne reales Erwerbsangebot und Einzahlungmöglichkeiten in die Rentenversicherung droht eine steigende Zahl älterer Menschen in die Armut zu drängen“, heißt es in dem Minderheitsvotum der Gewerkschaftsvertreter in der Rürup-Kommission, und weiter: „Die Erwerbsbiografien könnten zum Ende hin ‚ausfransen‘: Dem Ausscheiden aus dem Betrieb, zum Beispiel mit Anfang 60, kann so eine quälende Lebensphase folgen, in der Arbeitslosengeld, das neue Arbeitslosengeld II oder auch Krankengeld bezogen werden müssen, weil die Verrentung in weite Ferne gerückt ist.“

Die Gewerkschafter wenden sich auch dagegen, dass bei der Bewilligung der Erwerbsminderungsrenten nach dem Vorschlag der Rürup-Kommission künftig nicht mehr die Jobchancen, sondern nur der körperliche Zustand des Antragsstellers berücksichtigt werden soll. Auch das Eintrittsalter für die Altersrente für Schwerbehinderte soll laut Kommission von derzeit 63 auf 65 im Jahre 2035 heraufgesetzt werden. Von den Männern, die in Deutschland in Rente gehen, beantragen laut Statistik zwei Drittel eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Schwerbehinderung oder nach Altersteilzeit oder Arbeitslosigkeit. Nur ein Drittel geht in die Regelaltersrente, beziehungweise die Rente für langjährig Versicherte. BD

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