Frei nach sieben Jahren Folter

Pakistan, Afghanistan, Marokko, Guantánamo – Stationen der Odyssee von Binyam Mohamed. Verschleppt, gefoltert, im Stich gelassen. Daran soll die britische Regierung nicht unschuldig sein

Die EU will vor einer Entscheidung über die Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen prüfen, ob es Auflagen für die Insassen des US-Gefangenenlagers geben soll. Beim Treffen der EU-Innenminister am Donnerstag werde eine „mögliche Einschränkung ihrer Mobilität im Schengen-Raum“ diskutiert, hieß es bei Diplomaten in Brüssel. Denkbar sei eine Meldepflicht. Präzedenzfälle gebe es für eine solche Regelung nicht. Derartige „technische Fragen“ müssten aber geklärt werden, bevor über eine Aufnahme entschieden werden könne, sagte ein EU-Diplomat. Die Entscheidung liegt bei den einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hält eine Aufnahme nur für denkbar, wenn es einen Bezug zu Deutschland gebe.

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Nach sieben Jahren Einkerkerung und Folter, die letzten vier Jahre davon in Guantánamo, ist Binyam Mohamed am Montag in seine Wahlheimat Großbritannien entlassen worden. Nach seiner Landung auf dem Militärflugplatz Northolt in Westlondon wurde der 30-jährige Äthiopier mehrere Stunden von Einwanderungsbeamten verhört und bekam eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, muss sich aber regelmäßig auf dem Polizeirevier melden.

Mohamed ist der erste Guantánamo-Häftling, der seit dem Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama freigelassen wurde. Er sagte, er sei weder physisch noch mental in der Lage, sich den Medien zu stellen. Stattdessen verlasen seine Anwälte seine Presseerklärung. „Ich kann es noch immer kaum glauben, dass ich entführt, von einem Land ins andere verschleppt und auf mittelalterliche Weise gefoltert wurde – und das alles auf Betreiben der US-Regierung“, heißt es darin. „Ich bin denjenigen verpflichtet, die noch in diesen Folterkammern sitzen. Ich war am verzweifeltsten, als ich glaubte, dass mich alle im Stich gelassen hatten. Es ist deshalb meine Pflicht, sicherzustellen, dass niemand vergessen wird.“ Der allerschlimmste Moment für ihn war, als ihm in Marokko klar wurde, dass die Leute, die ihn folterten, ihre Fragen und Dokumente vom britischen Geheimdienst bekommen hatten: „Gerade die Leute, von denen ich mir die Rettung erhoffte, haben gemeinsame Sache mit meinen Folterern gemacht. Ich will keine Rache, aber die Wahrheit muss bekannt werden, damit in Zukunft niemand das erleiden muss, was ich erleiden musste.“

Der 1978 in Äthiopien geborene Mohamed hatte im Alter von 16 Jahren politisches Asyl in Großbritannien beantragt. Das wurde abgelehnt, aber im Jahr 2000 bekam er eine Sonderaufenthaltsgenehmigung für vier Jahre. Er arbeitet als Putzmann und studierte Elektrotechnik. 2001 konvertierte er zum Islam. Nach einem Aufenthalt in Pakistan wurde er im April 2002 verhaftet, als er zurück nach London fliegen wollte. Dort wurden unter der Folter seine Genitalien mit Rasierklingen aufgeschlitzt. Nach 18 Monaten verschleppte man ihn nach Afghanistan, anschließend nach Marokko, im September 2004 kam er nach Guantánamo. Die USA warfen ihm vor, an einem Kurs zur Herstellung von radioaktiven Bomben teilgenommen zu haben. Al-Qaida soll ihn beauftragt haben, Hochhäuser und Tankstellen in den USA zu sprengen. Nach monatelanger Folter unterschrieb Mohamed ein Geständnis.

Im Oktober 2007 wurden alle Vorwürfe gegen ihn fallengelassen, doch er blieb weiterhin in Haft. Anfang des Jahres begann er einen Hungerstreik und wurde fünf Wochen lang zwangsernährt. Ein britisches Gericht entschied im Januar, dass es „überzeugende Beweise“ für Mohameds Aussagen gebe. Dennoch blieben die Beweise unter Verschluss. Der britische Außenministerium David Miliband hatte sich von der US-Regierung schriftlich bescheinigen lassen, dass die geheimdienstliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern möglicherweise eingestellt würde, sollten die Dokumente über die Folter an Mohamed öffentlich werden.

Auch ohne die Veröffentlichung der Dokumente deutete bei dem Prozess vieles darauf hin, dass Großbritanniens Regierung und Geheimdienste die Folterstrategie mitentwickelt haben. Ein Mitarbeiter des Geheimdienstes MI 5, der als „Zeuge B“ bezeichnet wurde, hatte Mohamed 2002 in Karatschi verhört, nachdem der vom pakistanischen Geheimdienst gefoltert worden war. „Zeuge B“ gab zu, er habe sich nicht darum geschert, dass Mohamed erheblich an Gewicht verloren hatte. Er habe sich auch nicht die Frage gestellt, ob die Internierung überhaupt legal war. Innenministerin Jacqui Smith hat den Generalstaatsanwalt inzwischen beauftragt, mögliches „kriminelles Fehlverhalten“ von MI 5 und CIA bei der Behandlung von Mohamed zu untersuchen.