„Es gibt eine große Wut“

Gitta Barufke, Juristin und Beraterin bei der Aktionsgemeinschaft Arbeitsloser Bürger und Bürgerinnen e. V. (AGAB) über Hartz-Formulare und zivilen Ungehorsam

taz: Hartz IV soll Bremen jährlich um 110 Millionen Euro entlasten. Haben die künftigen Bezieher von Arbeitslosengeld II auch Grund zur Freude?

Gitta Barufke, Juristin und Beraterin bei der AGAB: Nein, haben sie nicht. Für den größten Teil bedeutet das eine drastische Absenkung der Leistungen und eine viel schäfere Verpflichtung, jede auch geringfügig bezahlte und unqualifizierte Beschäftigung anzunehmen.

Welche Auswirkungen hat das?

Eine große Verarmung der Leute, die sowieso schon Opfer der Krise sind. Ein Lohndumping, weil eine Menge von Leuten gezwungen sein werden, Arbeit zu schlechten Bedingungen anzunehmen. Und eine Privatisierung des Risikos der Arbeitslosigkeit, weil ein Großteil der bisherigen Bezieher von Arbeitslosenhilfe – man schätzt ungefähr ein Drittel – komplett keine Leistungen mehr beziehen wird.

Die Befürworter von Hartz IV sagen, dass es für die Bezieher von Arbeitslosengeld II bessere Angebote geben soll, die ihre Chancen erhöhen, wieder Arbeit zu finden.

Das ist im Moment überhaupt nicht absehbar. Die Bundesagentur für Arbeit kann schon jetzt wenig Hilfestellung bieten, weil der Arbeitsmarkt einfach so ist, wie er ist. Eingliederungsmaßnahmen werden zudem häufig vorrangig für die Bezieher von originärem Arbeitslosengeld finanziert. Da bleibt doch sehr abzuwarten, wie viel tatsächlich für Bezieher von Arbeistlosengeld II getan wird.

„Fördern und Fordern“ – ist das bei Hartz IV ausgewogen?

Nein. Selbst unter den Befürwortern wird da sehr starke Kritik geübt. Es ist sehr deutlich, dass die „Forder“-Seite sehr stark gewichtet ist. Es werden sehr hohe, zum Teil unzumutbare Anforderungen gestellt und mit hohen Sanktionen belegt. Die „Förder“-Leistungen sind dagegen alles nur Kann-Leistungen.

Was den Beratungsbedarf zu Hartz IV angeht, zählt die Behörde auf tatkräftige Mithilfe von Institutionen wie der AGAB. Fühlen Sie sich vor einen fremden Karren gespannt?

Im Moment wird Hartz IV kommen, das muss man zur Kenntnis nehmen. Auch wenn wir die Umstrukturierung und Hartz IV insgesamt ablehnen: Wir sind als Beratungsstelle natürlich daran interessiert, dass die Leute nicht unter die Räder geraten.

Die Bundesagentur für Arbeit hat in Bremen bereits gut 6.000 Anträge verschickt. Merken Sie das?

Es gibt einen deutlich hohen Beratungsbedarf. Für uns wird das schon schwierig, das zu handhaben.

In anderen Städten rufen Initiativen dazu auf, die Antragsformulare möglichst spät auszufüllen – aus Protest. Unterstützen Sie das?

So ausdrücklich nicht. Ich kann das nachvollziehen, weil es eine große Wut gegen diese neuen Sozialleistung gibt und die Leute sich fragen, wie sie sich dagegen wehren können. Dennoch ist es für die Meisten so existenziell notwendig, im Januar Geld zu haben, dass wir diese Kampagne als allgemeine Kampagne so nicht unterstützen. Was wir sagen, ist: Lassen Sie sich beraten und nicht unter Druck setzen mit dem Abgabetermin. Aber auf den letzten Drücker, das verzögert die Leistung, und das muss man individuell aushalten können. Die, die es können, sollen das tun.

Interview: sim