Arafats Traum wartet noch auf Erfüllung

Zehn Jahre nach der Rückkehr aus dem Exil hat sich der Palästinenserchef ins Abseits manövriert. Gestern wurde er 75

Der israelische Popsänger Gidi Gow und Jassir Arafat feiern am gleichen Tag Geburtstag. Deshalb, so scherzt der Moderator des Armee-Hörfunks, widme Gow dem seit gestern 75-jährigen Palästinenserpräsidenten ein Lied: „Worte in der Luft“, heißt es in einer Sequenz des ursprünglich als Liebeslied angelegten Songs und „unter düsterem Himmel“ stehe er, was in diesen Tagen besonders zutreffen mag. Zehn Jahre sind vergangen, seit Arafat aus dem tunesischen Exil in seine Heimat zurückkehrte. Zwei Jahre später wählten ihn über 90 Prozent der Palästinenser zum Präsidenten. Die damals so greifbar nah erscheinende Erfüllung seines Traums von einem unabhängigen Palästinenserstaat unter seiner Führung gleitet mit jedem Tag weiter in die Ferne.

„Es könnte der Anfang vom Ende sein“, schreibt der palästinensische Journalist Daoud Kuttab über die jüngsten Konfrontationen zwischen der Jugend von Arafats Fatah-Partei und Funktionären wie Mohammed Dahlan, ehemals Sicherheitschef im Gaza-Streifen. Arafats Kritiker fordern ein Ende der Korruption und des autokratischen Regimes. Dem Palästinenserpräsidenten würde, ginge es nach dem Willen der jungen Rebellen, fortan lediglich die Aufgabe zukommen, das Volk zu repräsentieren. „Ohne Zweifel“, so schreibt Kuttab, „wird er durch die Krise geschwächt werden.“ Dass sie ihn endgültig in die Knie zwingen wird, wagt bislang noch kaum jemand zu prophezeien.

Nach Informationen einer Gruppe von US-amerikanischen Wirtschaftsprüfern, die im Auftrag des palästinensischen Finanzministeriums Arafats Bücher durchsahen, liegt das private Guthaben des Palästinenserpräsidenten bei rund einer Milliarde US-Dollar. Darin inbegriffen sind Investitionen in Firmen wie Coca-Cola in Ramallah und ein tunesisches Mobiltelefonunternehmen. Eine vom israelischen Nachrichtendienst veröffentlichte Liste nennt wiederum die Sozialministerin Intisar al-Wasir, die internationale Spenden stehle, Außenminister Nabil Shaat und sogar den jüngst von Arafat-Anhängern angeschossenen Abgeordneten Nabil Amr, der rund zwei Millionen US-Dollar in sein pompöses Eigenheim steckte, während die Armutsrate im Gaza-Streifen auf über 60 Prozent anstieg.

Wer von Arafat mit einem Posten versorgt wird, braucht sich um sein finanzielles Auskommen nicht mehr zu sorgen. Neben kontraproduktivem internationalem Druck einerseits und dem Mangel an Unterstützung derer, die Veränderungen zum Ziel hatten, andererseits, ist die palästinensische Vetternwirtschaft mit ein Grund dafür, dass der Reformprozess nur allzu mühsam von innen vorangetrieben wird.

Mit Blick auf den Friedensprozess gestand der Palästinenserpräsident drei Jahre nach den Verhandlungen in Camp David selbst ein, dass er dem Plan des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton „heute zustimmen würde“. Zu diesen Zeitpunkt saß der Friedensnobelpreisträger von 1995 bereits einige Zeit hinter den Toren der Muqataa, seinem Sitz in Ramallah, den er aus Sorge vor einem israelischen Rückreiseverbot nicht mehr verlässt. Wohin sollte er schon reisen? Nicht nur bei den Israelis, sondern auch in den USA und Europa hat sich Arafat längst selbst ins Abseits manövriert. Sollte es jemals zu einer Friedenseinigung zwischen Israel und den Palästinensern kommen, wird es nicht Arafat sein, der sie unterzeichnet. SUSANNE KNAUL