Ruf nach Rache

Viele Gläubige machen die Amerikaner für den Tod von Ajatollah al-Hakim verantwortlich

aus Bagdad INGA ROGG

Wehklagen und Rufe nach Vergeltung schallen durch Bagdads Straßen, als sich zehntausende Schiiten auf einen Trauermarsch nach Nadschaf machen. Dort war am Freitag der schiitische Geistliche Ajatollah Mohammed Bakir al-Hakim durch eine Autobombe getötet worden. Vor der Imam-Kahdim-Moschee im schiitischen Viertel Kadhimija versammelt sich eine schier unendliche Menge von Gläubigen. Viele tragen Bilder des Getöteten. Bedeckt von weißen und roten Rosen, ist auf einem Pritschenwagen mit Hakims überdimensionalem Porträt sein symbolischer Sarg aufgebahrt. Das geistliche Oberhaupt des Hohen Rats für die Islamische Revolution im Irak (Sciri) galt als Integrationsfigur.

Bislang haben die Ermittler von dem zerfetzten Körper des Ajatollahs nur die Hand mit dem Ehering gefunden. Rufe nach Vergeltung werden laut. „Unsere Rache an den Mördern kennt keine Nachsicht“, heißt es auf einem der vielen Banner. Es ist eine Demonstration der Trauer, aber auch der Wut auf die bislang unbekannten Täter. Viele Schiiten vermuten sie unter den Anhängern Saddams, unter dem sie so viele Jahre gelitten haben. Nach dem Attentat waren schon am Freitag Schiiten aus Kadhimija in das auf anderen Tigrisseite gelegene Sunnitenviertel Adhamija gezogen, wo Saddam Hussein am 9. April zuletzt gesehen wurde. Am Ende der Brücke kehrten die meisten aber um.

Von Bagdad geht die Prozession weiter nach Kerbala und in Hakims Geburtsstadt Nadschaf, wo sie am Dienstag in einer großen Trauerfeier enden soll. Bis dahin gilt im Irak wie auch im Iran, wo al-Hakim 23 Jahre im Exil lebte, dreitägige Staatstrauer. Nach Angaben von Krankenhaussprechern in Nadschaf wurden bei dem Anschlag 85 Menschen getötet. Noch immer wird im Schutt vor dem Platz der Imam-Ali-Moschee, wo Hakim die Freitagspredigt hielt, nach sterblichen Überresten gesucht.

Bereits am Samstag sind tausende Gläubige aus Bagdad, Basra, Kut und anderen schiitischen Zentren in die heilige Stadt gepilgert. Einige versuchten auf dem Weg zur Moschee, das zerstörte Auto, in dem die Bombe deponiert war, zu berühren. „Es gibt keinen Gott außer Gott!“, riefen sie. „Sie haben diese Tat am Tor zur Moschee begangen“, empörten sie sich. In den Krankenhäusern kam es zu dramatischen Szenen, als Angehörige verzweifelt nach Überlebenden suchten. Einige hundert Gläubige zogen vor das US-Gelände am Rande der Stadt. Die Amerikaner müssten endlich die Sicherheit der heiligen Stätten garantieren, forderten sie.

Auch in Bagdad macht man die angloamerikanische Koalition für die Gewaltwelle verantwortlich, die seit dem Anschlag auf die jordanische Botschaft am 7. August das Land erschüttert. „Wir haben Geduld“, sagt ein Mann. „Aber sie ist nicht unendlich.“ In seiner letzten Predigt hatte Hakim die Forderung nach Einrichtung einer schiitischen Schutztruppe für die heiligen Stätten und besonders Nadschaf, das Gelehrtenzentrum des Irak, gefordert. Auch gestern sparten die Trauernden nicht mit Kritik. „Die Amerikaner sind verantwortlich“, sagte ein Sciri-Sprecher. „Sie sind nicht in Nadschaf, aber sie haben auch nicht zugelassen, dass Iraker das Sicherheitsvakuum füllen.“