Die Vertreibung der Islamisten

AUS SOZAKAN INGA ROGG

Zufrieden schauen die drei Frauen am Wegesrand auf ihr Werk. Eben haben sie ein lila Transparent an zwei Masten befestigt, das sich nun wie ein bunter Farbtupfer von den kargen Bergen im Hintergrund abzeichnet. Darauf werden die Frauen von Sozakan aufgerufen, sich an der Wahl einer Frauenvertretung für ihr Dorf zu beteiligen. Eigentlich nichts Ungewöhnliches in Kurdistan, wo es häufig selbst in den abgelegensten Winkeln Büros von Frauenorganisationen gibt. Doch für Sozakan ist die Wahl eine kleine Revolution. Denn Sozakan liegt mitten in dem Teil der Hawraman-Berge, wo bis zum Krieg die islamistische Ansar al-Islam ihr Unwesen trieb.

„Wenn ich nur an sie denke, würde ich sie noch heute am liebsten kräftig schütteln“, sagt Halala Mohammed. Die 35-Jährige kam vor acht Jahren mit ihrem Mann in den 3.000-Seelen-Ort, um an der Grundschule zu unterrichten. „Es waren schwere Jahre“, sagt die Lehrerin rückblickend. Denn schon damals befand sich Sozakan wie alle umliegenden Dörfer fest in der Hand kurdischer Islamisten, die in dem unwegsamen Grenzgebiet zum Iran ein kleines islamisches Emirat errichteten und sich einen zähen Abnutzungskampf mit der in der Region den Ton angebenden Patriotischen Union Kurdistans (PUK) lieferten.

Richtig schlimm sei es geworden, als vor drei Jahren die Ansar al-Islam auf den Plan trat und mit ihr die ausländischen Dschihad-Kämpfer. „Von da an durften wir das Dorf nur noch von oben bis unten verschleiert verlassen“, sagt die Lehrerin. Die zivile Bezirksverwaltung ersetzten sie durch ein Scharia-Gericht, und wer nicht spurte, den steckten sie kurzerhand ins Gefängnis.

„Gott sei Dank ist der Spuk vorbei.“ Ein breites Lächeln huscht über das wettergegerbte Gesicht von Halala Mohammed. Ein Tuch trägt sie zwar auch heute, aber es hängt lose um ihren Kopf, und kaum ist sie zu Hause, wirft sie es demonstrativ in eine Ecke.

Seit der Vertreibung der Dschihad-Krieger sorgen die PUK-Regierung und Hilfsorganisationen mit Sonderprogrammen für eine Neubelebung der arg gebeutelten Region. Jedes Dorf hat mittlerweile seinen eigenen zentralen Generator, der etliche Stunden am Tag Strom liefert. Die Schotterpisten, die vom tief gelegenen Tal in die Berge führen, werden zu Straßen ausgebaut, und überall liegen Masten für das geplante Strom- und Telefonnetz. Darüber hinaus sind überall kleinere Projekte entstanden, die sich mit ihrem Bildungs- und Beratungsangebot besonders an Frauen und Jugendliche wenden.

Im zehn Minuten entfernten Tawela scheint man von Satellitenempfängern – von den Islamisten streng verboten – gar nicht genug bekommen zu können. Beinahe auf jedem Dach prangt eine der riesigen weißen Schüsseln. Mit seinen in den Berg gebauten niedrigen Lehmhäusern und den üppigen Gärten verströmt das Grenzstädtchen den Charme einer längst vergangenen Zeit. Heute findet man ähnliche Siedlungen allenfalls noch im benachbarten Iran, wo das Mullah-Regime trotz aller Repressalien gegen die Kurden nie so weit ging, ganze Landstriche auszulöschen wie diesseits der Grenze das Saddam-Regime.

Doch auf die Mullahs ist man hier nicht gut zu sprechen. Denn über Jahre hat Teheran sein Scherflein zur Stärkung der sunnitischen Extremisten beigetragen, indem es nichts gegen den regen Grenzverkehr unternahm. Heute beschuldigt die irakische Interimsregierung das Nachbarland ebenfalls, bei der Gewalt im Zweistromland seine Finger im Spiel zu haben.

Doch hier in Tawela hat man sich jenseits des Bergkamms offenbar anders besonnen. Außer dem spärlichen Güterverkehr, der über einen kleinen Grenzposten abgewickelt wird, lasse Iran mittlerweile niemanden mehr über die Grenze, sagt ein kurdischer Grenzpolizist. Auf hiesiger Seite sorgen die zahlreichen Sicherheitskräfte und die neue irakische Grenzpolizei aus ehemaligen PUK-Peschmerga dafür, dass niemand unentdeckt nach Kurdistan gelangt.

So ganz traut Shaho Mustafa Faraj dem Frieden trotzdem nicht. In einer ehemaligen Lagerhalle betreibt der hagere 36-Jährige ein von der PUK finanziertes Fortbildungszentrum für die Jugendlichen am Ort. Hier können sie den Umgang mit dem Computer lernen sowie Theater- und Musikkurse belegen. Erst nachdem er die Besucher genau unter die Lupe genommen hat, verfliegt das Misstrauen in seinem Gesicht. Mit einem Anflug von Stolz erzählt er dann, dass an den Kursen viele Mädchen teilnehmen. „Wegen der Islamisten haben wir hier völlig den Anschluss verpasst“, sagt er fort. „Das müssen wir jetzt nachholen.“

Großen Nachholbedarf gibt es auch unten im Tal, in Biyara. In der Bezirksgemeinde hatte die Ansar al-Islam ihr Hauptlager aufgeschlagen und in der Nähe angeblich eine Manufaktur für Chemie- und Biowaffen betrieben. Über das, was sie nach der Bombardierung auf dem unscheinbaren Gelände wirklich vorgefunden haben, schweigen sich die Amerikaner bis heute eisern aus. Für den Bezirksvorsteher Simko Salar ist das freilich unerheblich. Für ihn steht die Entwicklung des Orts im Vordergrund. Früher lebte Biyara gut von den Pilgern, die das mit blauen und weißen Kacheln geschmückte Mausoleum von Scheichs des Nakschbandi-Ordens besuchten. Da im engstirnigen Islamverständnis der Militanten für diese Art der Heiligenverehrung kein Platz war, blieben die Besucher aus. Mehr noch als auf die Pilger hofft der Jurist indes auf Zuschüsse von internationalen Organisationen. „Wir haben den Grundstein gelegt“, sagt der PUK-Politiker. „Nun müssen wir das Haus darauf bauen.“

Aus den Hawraman-Bergen hat man die islamischen Extremisten erfolgreich verjagt. Einer der Bekanntesten, Ali Bapir, der mit seiner Islamischen Gemeinschaft seine schützende Hand über die Ansar al-Islam hielt, sitzt seit einem Jahr in einem amerikanischen Internierungslager. Selbst um den Veteranen der kurdischen Islamisten, Ali Abdul Azsis, und seine Islamische Bewegung ist es mittlerweile still geworden. Im vergangenen Jahr hatten ihn die Amerikaner kurzzeitig ebenfalls in Haft genommen, nach drei Wochen aber wieder freigelassen. Von seinen Kämpfern ist ihm nur mehr eine Hand voll Bodyguards geblieben. In seiner einstigen Hochburg Halabdscha trauen sich heute sogar die Kommunisten wieder, ihre Fahne offen zu zeigen.

Ganz gebannt ist die Gefahr von Gewalttaten durch islamistische Extremisten aber offenbar auch in Kurdistan nicht. Die Ansar al-Islam soll für den doppelten Selbstmordanschlag Anfang Februar in Arbil verantwortlich sein, bei dem 109 Menschen getötet wurden. Anfang Juli versuchte sich ein Selbstmordattentäter vor dem besten Hotel in der Provinzhauptstadt Suleimanije in die Luft zu jagen. Kurz darauf hob die Polizei eine mutmaßliche Untergrundzelle aus und nahm 30 Verdächtige fest. Etwa 130 Militante sitzen in Suleimanije in Haft, mindestens so viele sind es in der kurdischen Hauptstadt Arbil. Von einigen arabischen Irakern abgesehen, sind sie alle Kurden.

Obwohl ein Großteil schon mindestens seit drei Jahren inhaftiert ist, ist ein Prozesstermin nicht abzusehen. Angeklagt werden sollen sie wegen Verstoßes gegen das Antiterrorgesetz. Doch das gibt es bislang gar nicht, es muss erst noch geschrieben und von der irakischen wie der kurdischen Regierung verabschiedet werden.

Dienten den Militanten früher die Hawraman-Berge als Unterschlupf, so seien es heute vor allem Städte wie Kirkuk und Mossul, sagt Serkaut Hassan. Dort wurden in den vergangenen Monaten auch zahlreiche Führungskader festgenommen. Mit mehreren hundert Mitgliedern verfügten sie aber nach wie vor über ein erhebliches Gewaltpotenzial, sagt der Polizeichef von Suleimanije. Allerdings habe man in den vergangenen Monaten zahlreiche Flügelkämpfe und daraus resultierende Abspaltungen beobachtet. Ein Teil habe sich der Gruppe Tawhid wa al-Dschihad von Abu Mussab Sarkawi angeschlossen. Mit der serienweisen Enthauptung von Ausländern geht der jordanische Terrorist aber offenbar selbst hartgesottenen Dschihad-Kriegern zu weit. Der harte Kern von Kurden habe sich deshalb mit gleichgesinnten irakischen Arabern zur Dschaisch Ansar al-Sunna zusammengetan, die für eine Reihe von Selbstmordattentaten verantwortlich gemacht wird. Da Organisationen wie ihre Mitglieder ständig ihre Decknamen wechselten, sei es schwierig, ihre Fährten zu verfolgen.

In Suleimanije setzt man deshalb auf verstärkte Sicherheitsvorkehrungen. An beinahe jedem Platz tun tagsüber Verkehrspolizisten Dienst, und in manchen Nächten stehen Wachen im Zehnmeterabstand entlang den wichtigsten Hauptstraßen; die hiesige Polizeizentrale ist mittlerweile ebenfalls durch eine hohe Betonmauer gesichert.

Während man in Suleimanije alles daransetzt, das Überschwappen der Gewalt zu verhindern, genießt Halala Mohammed ihre neue gewonnene Freiheit. Noch einmal wirft sie einen Blick auf das lila Transparent. In wenigen Tagen soll die Wahl der Frauenvertretung über die Bühne gehen. Als Wahllokal wird die Moschee dienen. „Der Geistliche wird mir die Schlüssel geben“, sagt die Lehrerin. „Früher hat er mich nicht einmal gegrüßt.“