Wenig Zeit pro File

Geplante Masseneinschätzungen von Stützeempfängern stoßen bei Profilern auf Skepsis. Es bleibe keine Zeit für „verantwortungsvolle Beurteilung“. Bögen verlangen auch Bewertung des Aussehens

von RICHARD ROTHER
und JAN ROSENKRANZ

Die Umsetzung der geplanten flächendeckenden Neueinschätzung von Sozialhilfeempfängern (taz berichtete) stößt auch bei Profilern auf Skepsis. Das geplante Profiling könne nur im „Schnelldurchlauf“ durchgeführt werden und so „maximal die Muss-Qualitätskriterien“ erfüllen, heißt es in einem an die taz gerichteten Schreiben zweier mutmaßlicher Profiler, die nicht genannt werden wollen. Wie solle man als Profiler verantwortungsvoll einen Menschen beurteilen, wenn man keine Zeit für die nötigen Diagnoseverfahren habe, fragen sie.

Die Senatssozialverwaltung plant, ab dem 6. Oktober ein so genanntes Profiling für bis zu 36.000 Berliner Sozialhilfeempfänger durchzuführen. Bei den zweitägigen Gruppenveranstaltungen mit 20 bis 25 Personen sollen so Erkenntnisse über die Stärken und Schwächen der Sozialhilfeberechtigten gewonnen werden.

„Die zwei Tage sind das äußerste Minimum, das geht“, berichtet ein anderer Profiler. Profilings, die im Auftrag des Arbeitsamts durchgeführt würden, liefen in der Regel über ein bis zwei Wochen. Da die Veranstaltungen für die Sozialhilfeempfänger nicht von einem, sondern von zwei Profilern durchgeführt würden, bleibe der generelle Zeitaufwand inklusive Nachbereitungszeit ähnlich, rechnet er vor. Während der eine Profiler Gruppentests durchführe, könne der andere gleichzeitig Einzelgespräche führen. „Eine Stunde pro Gespräch brauchen wir dafür.“

Das ist verständlich, denn die Profilingbögen, die für das Sozialamt erstellt werden, haben es in sich. Auf dem offenbar zu verwendenen Profilingbogen der Arbeitsgemeinschaft Servicegesellschaften, der der taz vorliegt, werden nicht nur Fragen nach Beruf, Sprachkenntnissen und Gehaltsvorstellungen behandelt. Von den Profilern wird auch eine Einschätzung der Persönlichkeit verlangt. Kriterien sind etwa die „Weiterbildungs- und Lernbereitschaft“ oder das „Erscheinungsbild“, bei dem die Gutachter „vorteilhaft“, „unauffällig“ oder „nicht vorteilhaft“ ankreuzen können. Darüber hinaus werden etwaige gesundheitliche Einschränkungen, Suchtmittelkonsum oder Schulden thematisiert, um zu einer Gesamteinschätzung zu gelangen. Die reicht von „voller Arbeitsmarktfähigkeit“ bis zu „massiven Vermittlungshemnissen“. Zwar seien die Bögen sehr schematisch, aber anders sei das kaum machbar, so ein Profiler, der die Aktion grundsätzlich sinnvoll findet. Es sei aber wichtig, dass mit den erhobenen Daten etwas geschehe, etwa Hilfsmaßnahmen angeboten würden. „Sonst sind die Betroffenen nach einem halben Jahr frustriert.“ Dass so sensible persönliche Einschätzungen vorgenommen würden, sei meist kein Problem. „Man muss das mit dem Kunden zusammen machen, ihm den Bogen zeigen.“ In neun von zehn Fällen komme das an.

Ein anderer Profiler hat mit der Kürze der Aktion kein Problem: „Wenn ein Spezialist eine halbe Stunde mit einem Kunden spricht, dann weiß er alles, was er wissen muss.“ Allerdings betont auch er die Notwendigkeit, den Begutachteten schon kurz nach dem Profiling eine Maßnahme anzubieten, um die ermittelten Defizite auszugleichen. „Damit ist zwar leider nicht zu rechnen, aber das ist nicht unser Bier.“