800 Kilometer im Aschenkreisel

Beim Sechs-Tage-Lauf in Erkrath gehen die Aktiven an ihre Grenzen. Der Wuppertaler Achim Heukemes greift nach verpasstem Weltrekord den deutschen Bahnrekord an

AUS ERKRATHTHOMAS BESCHE

Hin und wieder bleiben ein paar Zaungäste stehen und werfen einen skeptischen Blick auf die Menschen, die sich auf der staubigen Aschenbahn der prallen Mittagshitze aussetzen. Ihr imaginäres Fragezeichen auf der Stirn könnte in etwa so zu interpretieren sein: Was sind das für Verrückte? Vielleicht lockt auch die Szenerie. Dort, wo sonst die Bezirksliga-Fußballer des SC Unterbach kicken, scheint nun ein Rot-Kreuz-Lager oder Wanderzirkus sein Quartier aufgeschlagen zu haben. Wobei der Vergleich mit einem Zirkus für den ein oder anderen Außenstehenden möglicherweise die passende Vokabel ist für das, was sich seit vergangenen Sonntag, 15 Uhr, 26 Frauen und Männer auf der Reinhard-von-Hymmen-Sportanlage in Erkrath antun.

Beim 1. Internationalen 6-Tage-Bahnlauf geht es in dem Städtchen am Rande von Düsseldorf darum, das 400 Meter-Geläuf so oft wie möglich zu umrunden. Für die Masse der Teilnehmer hat das ganze keinen Wettkampfcharakter. Vielmehr wollen sie ihrem Körper neue Grenzen aufzeigen. Aus dieser Motivation schöpft auch der gebürtige Wuppertaler Achim Heukemes die Kraft, um Tag und Nacht zu laufen. Aber nicht nur, denn der einzige Profi auf der Aschenbahn hatte sich vorgenommen, den Weltrekord zu knacken. Der liegt bei exakt 1023,200 Kilometer und wird von einem Griechen gehalten.

Heukemes, der auch schon in 56 Tagen vom Nordkap nach Sizilien gelaufen ist und diverse deutsche Rekorde im Ultralaufen inne hat, peilte mit täglichen 426 Runden oder knapp 170 Kilometern die neue Weltbestmarke an. Davon hat er sich inzwischen verabschiedet. „Montag war ein Tag, an dem alle angeschlagen waren. Die Hitze war brutal. Ideal für einen Weltrekord wären Temperaturen so um die 20 Grad. Aber was hier zurzeit abgeht, ist eine echt harte Nummer“, sagt der Mann mit der Frisur eines ungarischen Hirtenhundes, wie es eine Tageszeitung schrieb.

Über die gesundheitlichen Folgen macht sich Heukemes, wie wahrscheinlich alle anderen Teilnehmer auch, wenig Gedanken. Nicht, dass sie leichtsinnig und untrainiert an die Herausforderung 6-Tage-Lauf herangegangen wären. Alle stehen im Saft. Aber die Auffassung, dass „die Quälerei“ reine Kopfsache ist, vertritt nicht nur Heukemes. „Der Mensch kann sich anstrengen, dafür hat er schließlich Muskeln. Natürlich haben wir alle Beschwerden, aber wenn die Zentrale im Kopf sagt, dass es weiter geht, dann läuft man eben weiter.“ Ein bisschen masochistisch müsse man schon veranlagt sein, gibt der 53-Jährige zu.

Die Schinderei unter brütender Sonne zahlt sich für keinen aus – zumindest nicht materiell. Im Gegenteil: alle Läufer zahlen 300 Euro Startgeld. Dafür werden sie vorzüglich verpflegt. „Ein wunderbares Hotel mit der größten Fitnessanlage“, bringt es ein Teilnehmer auf den Punkt. Pausenlos laben sich die Läufer am Cateringstand mit Süßigkeiten, Obst und anderen Leckereien und traben dann im lockeren Jogging weiter. Hinzu kommen die von einem Koch zubereiteten warmen Mahlzeiten. Die Veranstalter karren jeden Tag einen Wagenladung Lebensmittel heran. 8.000 Kalorien verbraucht Heukemes nach Einschätzung seiner Betreuerin Eva. „Ohne die geht nix“, ist sich der verhärmte Athlet sicher. Für ihren Achim muss sie jeden Tag aus der Eisdiele von gegenüber eine Portion Eis besorgen oder Schwarzwälder-Kirsch-Torte reichen – seine Lieblingsspeise.

Die Rundum-Betreuung scheint sich auszuzahlen, denn Heukemes hat gute Aussichten als erster Sieger der 6 Tage von Erkrath in die Geschichte der Ultraläufe einzugehen. Sein neues Ziel nach verpasstem Weltrekord: bis Samstag, 15 Uhr, den deutschen Bahnrekord knacken. Der liegt bei 793 Kilometern. „Den mach‘ ich platt“, sagt Heukemes. Dabei lässt er sich auch von Rückschlägen nicht unterkriegen. „Heute morgen habe ich zu viele Eier gegessen. Da ging‘s mir gar nicht gut. Aber die Eier habe ich durch jede Manege Cola niedergemacht.“