Auf hohem Plateau

Eine Million Besucher und kein Ende: Das ABBA-Musical „Mamma Mia“ lässt die Kassen klingeln. Die Karten sind sündhaft teuer, doch der Besuch lohnt sich sogar für Abba-Fans der ersten Stunde

von Kai von Appen

Wenn mit Glimmer & Glamour am vergangenen Wochenende der einmillionste Zuschauer per Hubschrauber vor das Operettenhaus am Spielbudenplatz eingeflogen wurde, sollte dies vielleicht aufgrund der Geschichte des Musical-Theaters Skepsis erzeugen. Gab es doch 1986 bei der Cats-Premiere wegen der „Etablierung von Kommerzkultur“ auf dem Hamburger Kiez heftige Proteste.

Andererseits: Wenn es allabendlich beim Finale fast 2.000 BesucherInnen von den Plätzen reißt, während das Ensemble auf Plateaus und in Schlaghosen zu „Waterloo“, „Mama Mia und “Dancing Queen“ noch mal zur Hochform aufläuft, könnte etwas an dem Arrangement dran sein. Die Inszenierung trifft in der Tat den Nerv mehrerer Generationen. Den der 70er Jahre, wenn die gerade emanzipierte Frau – in diesem Fall heißt sie Donna – dem tristen ehehaften Wohnsiloleben nach Griechenland entflieht, um das Abenteuer zu suchen. Und den der 20-Jährigen – in diesem Fall Tochter Sophie, die inzwischen wieder von alten Werten wie Romantik und Heirat träumt und die sich über die wilden Zeiten ihrer Mutter nur wundern kann.

Als Sophie Donnas Tagebuch aufstöbert und die drei Eintragungen von „zwei unvergesslichen Tagen“ vor 21 Jahren findet – „und dann fuhren wir mit dem Boot auf die Insel und hatten …“ –, geht sie der Sache zur Daseinsbewältigung auf dem Grund. Kurzerhand lädt sie ihre mutmaßlichen drei Väter ein und bringt Donna damit in Nöte, die in ihrer Taverne auf der Insel ein selbstbewusst allein erziehendes Mutter-Einsiedlerinnen-Dasein fristet.

Um diese amüsante, selbstironische, aber dennoch bewegend-mitreißende Generationen-Story platzieren sich 28 weltbekannte ABBA-Songs: Von „I have a Dream“, „Take a Chance of me“, „The Winner take it all“ bis „Super Trouper“, „Fernando“ und „Money Money“. Das musikalische und choreographische Arrangement kommt ohne viel Bühnen-Tam-Tam aus, und die ABBA-Hits klingen, als seien sie eigens für dieses Musical geschrieben worden. Und selbst wenn aus „Knowing Me, Knowing You“ plötzlich „Ich bin ich, du bist du“ wird, fällt das nicht weiter ins Gewicht.

Dass Mamma Mia so beliebt geworden ist, ist vor allem dem Ensemble um Carolin Fortenbacher (Donna) – die sich gesanglich nicht hinter ABBA-Ikone Agnetha Fältskog verstecken muss – und Katja Berg (Sophie) zu verdanken. Den SängerInnen, SchauspielerInnen und TänzerInnen ist anzumerken, dass sie das Stück nach fast zwei Jahren noch immer mit Freude spielen – selbst wenn auch manchmal dem Zuschauer schwindelig werden kann, in welche Windeseile die „Dynamos“ auf ihren hohen Plateaus die griechischen Taverna-Treppen bewältigen. Es ist einfach eine lustige und positive Rückblende auf eine Epoche, die vom Umbruch, aber auch von staatlicher Repression geprägten war.

Die Hamburger „Mamma Mia“ Version des 1996 zum ersten Mal in London ausgeführten ABBA Musicals war höchstpersönlich von den ABBA-Männern und Song-Wrightern Björn Ulvaeus und Benny Andersson abgenommen worden. Vielleicht schon deshalb für jeden ABBA-Fan ein Muss. Und schon längst gehören zu den „Mamma Mia“-BesucherInnen auch diejenigen, die 1986 noch bei Cats auf den Barrikaden standen.

Einschränkend muss aber auch gesagt sein: Die Preise des Kommerz‘ sind horrend. Dennoch sind fast alle Vorstellungen für Monate ausverkauft. Der Besuch ist es eben wert – auch für nicht originäre ABBA-Fans.

Kai von Appen, Politikredakteur bei der taz hamburg, ist Abba-Fan der ersten Stunde