Differenzierte Haltung

Dagmar Ottmann, die Schwester von Friedrich Christian Flick, distanziert sich von dessen Berliner Ausstellungsvorhaben und unterstützt in einem offenen Brief die Forderung nach einem Moratorium

Dieser Brief belegt einen außergewöhnlich scharfsichtigen, verantwortungsvollen politischen Stil des Denkens. Es lohnt sich unbedingt, ihn zu lesen. Man kann es sich leicht vorstellen: Dagmar Ottmann, die Schwester von Friedrich Christian Flick, ist in keiner einfachen Situation, wenn sie sie sich in die Debatte um das bis vor kurzem „Flick Collection“ – jetzt „Friedrich Christian Flick Collection“ – genannte Ausstellungsvorhaben der Staatlichen Museen zu Berlin einmischt. Doch der Ruch eines bloß banalen Familienstreits ist in ihrem offenen Brief, den die aktuelle Zeit veröffentlicht, nirgendwo zu entdecken. Dennoch erhöht sie den moralischen Druck auf ihren Bruder „Mick“ Flick. Der Brief richtet sich an Salomon Korn und Michael Fürst, beide im Vorstand des Zentralrats der Juden in Deutschland und beide Kritiker des Berliner Ausstellungsvorhabens, wie es derzeit verwirklicht werden soll.

Zunächst verwahrt sich die promovierte Literaturwissenschaftlerin, die zuletzt zwei Jahre in Princeton lehrte, gegen die Vorstellung, die Vertuschung der Flick’schen NS-Vergangenheit beträfe die gesamte Familie und reiche „bis ins dritte Glied“. Dagmar Ottmann hat aus ihrem Privatvermögen in den Zwangsarbeiterfonds eingezahlt. Am Lehrstuhl von Norbert Frei (Universität Bochum) gab sie ein Forschungsprojekt in Auftrag, in dem die Geschichte der Friedrich Flick KG nicht nur in der NS-, sondern auch der Nachkriegszeit als „Geschichte der Verdrängung“ und der „Entschädigungsblockade“ untersucht wird. Vor diesem Hintergrund, schreibt Ottmann, „hätte ich – wie Sie – ein Moratorium der Ausstellung begrüßt“. Anders als die Berliner Verantwortlichen, Klaus-Dieter Lehmann, Peter Klaus Schuster und Eugen Blume, die bislang darauf bestanden, den historischen Hintergrund auszublenden, und die sich nun in letzter Minute mit einem Forschungsauftrag an das Münchner Institut für Zeitgeschichte retten möchten.

Es belaste sie, so fährt Dagmar Ottmann fort, miteinbezogen zu werden, wenn Kunstverwalter und Journalisten das Ausstellungsprojekt zu rechtfertigen suchen. „Gerade angesichts der öffentlich bekannten – und mir auch persönlich durchaus geläufigen – Verdrängung der NS-Vergangenheit durch einige Mitglieder der Familie Flick wirken diese Legitimationen deplatziert.“ Und hier kommt sie nun auf die beunruhigenden Phantasmagorien im Zusammenhang mit der Kunstsammlung zu sprechen, wie etwa die Aussage, Mick Flick sammle „genau die Kunst, zu deren geplanter Vernichtung sein Großvater finanziell beigetragen hat.“ Von der Sache her falsch, empfindet sie die Intention, Kunst als Kompensation für die verweigerte Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte zu missbrauchen, als „das eigentlich Anstößige“. Wer Kunst so funktionalisiert, muss wohl „die Leidtragenden der NS-Zeit, die Beraubten und Ausgeplünderten“ auch nicht berücksichtigten. Diese Mitleidslosigkeit der Verantwortlichen bedrückt Dargmar Ottmann offenkundig besonders. Sie sichert daher den Adressaten ihres Briefs Unterstützung aus dem Kreis der Familie zu. BRIGITTE WERNEBURG