Missbrauch eines EU-Referendums

betr.: „Juristen: EU-Referendum wäre kein Problem“ u. a., taz vom 27. 7. 04

Angesichts der äußerst bescheidenen Wahlbeteiligung nicht nur bei der letzten Europawahl mutet das plötzliche Bedürfnis vieler BürgerInnen nach einem Referendum über die EU-Verfassung doch etwas seltsam an. Es ist vielmehr zu vermuten, dass das Referendum als Macht- und Protestinstrument von Politikern und Bürgern gleichermaßen missbraucht wird und der gemeine Wähler eine weitere Gelegenheit nutzen möchte, die Regierung für ihre Politik abzustrafen.

Beim Verfassungsvertrag handelt es sich neben einigen Änderungen im Wesentlichen um eine Zusammenfassung und Vereinfachung der bisherigen EU-Verträge zugunsten einer handlungsfähigeren und demokratischeren Union. Auch wenn der Verfassungsvertrag gewiss in einigen Punkten zu kritisieren (zum Beispiel Fortbestehen der Euratom, Schaffung eines militärischen Rüstungsamtes) und verbesserungsbedürftig (vor allem in den Bereichen Gasp und Verteidigung, Umwelt- und Sozialpolitik) ist, leistet die Verfassung mit den künftigen Regelverfahren (Mitentscheidung des EU-Parlaments und Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat) eine entscheidende Weichenstellung für ein demokratischeres und vor allem handlungsfähigeres Europa.

Wird die Verfassung abgelehnt, bleibt es beim Status quo (unter anderem Einstimmigkeitsprinzip in den Abstimmungsverfahren), was bei 25 beziehungsweise 27 Mitgliedern fatale Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der Union hätte. Der Bürger entscheidet sich bei einem Referendum nicht für oder gegen die Institutionalisierung des europäischen Neoliberalismus, sondern pro oder contra eine effizientere Union durch vereinfachte Entscheidungsverfahren, Abgrenzung der Kompetenzbereiche von Union und Mitgliedstaaten und eine Stärkung des EU-Parlaments. Dass dieser Verfassungsvertrag in den kommenden Jahren Änderungen (zum Beispiel durch ein in der Verfassung vorgesehenes Bürgerbegehren von mindestens 1 Million Menschen) und Anpassungen erfahren muss, bleibt dabei unbestritten. ANNA KROCKOW, München