Österreichs Regierung vor neuer Zerreißprobe

FPÖ-Hardliner machen gegen den EU-Beitritt der Türkei mobil und provozieren so einen Konflikt mit der Parteispitze

Bei der Frage, ob die Türkei in die EU soll, winden sich die meisten Politiker. Zuerst müsse abgewartet werden, wie die Union mit den neuen Mitgliedsstaaten fertig werde, die Türkei müsse einmal in Sachen Demokratie, Menschenrechte und Rolle der Armee europareif werden. Bevor der Bericht der EU-Kommission vorliege, könne man gar nichts sagen.

Ein klares Für oder Wider ist in Österreich von den wenigsten zu hören. Dennoch ist längst klar, dass Brüssel sich zu Jahresende für die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen aussprechen wird. Damit kommt die Türkei über kurz oder lang zur EU. Das sieht auch der nationale Flügel der FPÖ so.

Dessen wortgewaltigster Vertreter, Ewald Stadler, seines Zeichens Leiter der Freiheitlichen Kaderschmiede, schlägt daher jetzt Alarm. Der Mann von der schlagenden Studentenverbindung will verhindern, dass die FPÖ, und damit die Bundesregierung, sich von der Mehrheit in Europa überrumpeln lässt. Die Rechte der kurdischen Minderheit interessieren ihn genauso wenig wie die Pressefreiheit jenseits des Bosporus. Für ihn soll Europa eine Bastion des christlichen Abendlandes bleiben. Es gilt, die islamische Gefahr zu bannen.

Man erinnert sich, dass Stadler schon vor einigen Jahren das Prinzip des „wehrhaften Christentums“ in den Parteistatuten verankern lassen wollte. Dieser Paragraf scheiterte damals an der Mehrheit, die sich der antiklerikalen Wurzeln der Partei entsann. Stadlers katholischer Fundamentalismus trifft sich jetzt in der Türkei-Frage mit der traditionellen Fremdenfeindlichkeit der FPÖ. Die Glaubenskämpfer können also zuversichtlich sein, bei einer Befragung der Basis, wie sie als äußerstes Mittel zur parteiinternen Durchsetzung angedroht wurde, auf große Zustimmung zu stoßen.

Dass ausgerechnet Jörg Haider gegensteuert, entbehrt nicht der Pikanterie. Der Landeshauptmann von Kärnten kehrt jetzt den strategischen Denker heraus und plädiert dafür, die Osmanen zu umarmen anstatt auszugrenzen. Man dürfe nicht riskieren, „einen fundamentalistischen Staat vor der Haustür Europas“ zu haben. Haider hat ja schon seine Besuche bei Saddam Hussein und Muammar Gaddafi mit der taktischen Überlegung gerechtfertigt, man müsse solche Männer einbinden, nicht bekämpfen. Ewald Stadler, der keinen Posten in der Regierung zu verlieren hat, provoziert bewusst einen Konflikt mit der Parteiführung und dem Koalitionspartner. Er ist schon lange der Meinung, dass seine Partei ideologisch nur in der Opposition genesen kann. Zwar ist auch in der ÖVP die Begeisterung für einen Türkei-Beitritt äußerst gering, doch will Bundeskanzler Wolfgang Schüssel nicht schon wieder in der EU isoliert werden. Ein vom kleinen Partner aufgezwungenes Veto kann er nicht akzeptieren.

Dementsprechend gedämpft sind die Reaktionen in der FPÖ-Führung. Obfrau Ursula Haubner, die ihrem Bruder Jörg Haider selten widerspricht, schickte Generalsekretär Uwe Scheuch vor. Mit „überstürztem Hinauseilen“ sei der Sache nicht gedient, versuchte er abzuwiegeln. Man werde die Sache „in unseren Gremien, wie es sich gehört, vernünftig diskutieren“. Spätestens auf dem Parteitag im Herbst wird sich zeigen, ob Jörg Haider noch über genügend Autorität verfügt, seine isolierte Position durchzusetzen. RALF LEONHARD