jenni zylka über Sex & Lügen
: Samen-Tierchen ohne Zukunft

Alternativen zur Präformationsgesellschaft: Sollten Menschen nicht am besten im Ei ausgebrütet werden?

Die Katze meiner Freundin hat Junge bekommen. Vier Stück, eines süßer als das andere, alles in allem ein maunzender Allergieschock erster Güte. Die alte Katze hatte sich nach langem Hin und Her den Kleiderschrank meiner Freundin als Wochenbett ausgesucht, genauer gesagt das Sockenfach im untersten Regal. So haben die kleinen Kätzchen als erste Wahrnehmung in der neuen Welt ausgerechnet die muffigen Größe-47-Socken des Ehemannes erschnuppern dürfen.

Habe daraufhin über Geburtsorte in Zusammenhang mit Geburtsarten nachgedacht. Schnell gelangte ich zum Eierlegen. Würde man sich nicht eine Menge stressiger Wochenbettgeschichten sparen, wenn Frauen ihre Menschenkinder einfach aus einem Ei ausbrüten könnten, anstatt sie monatelang beschwerlich auszutragen? Vermutlich hätte man in diesem Fall längst einen schnellen Brüter für Menscheneier ersonnen, der es den zukünftigen Eltern möglich macht, das Ei mit dem kleinstmöglichsten Aufwand seiner Bestimmung folgen zu lassen, ohne nämlich dabei die Arbeit und das vorherige Leben vernachlässigen zu müssen. Ein Hoch für die Gleichberechtigung. Frauen könnten nach dem unkomplizierten Legen gleich wieder ins Berufsleben zurück.

Wahrscheinlich gäbe es sogar schon wieder einen Backlash, eine „Zurück zum menschlichen Brüten“-Bewegung, die behaupten würde, dass Kinder seelische Spätfolgen durch das mechanische Ausbrüten erlitten und dass der beste Garant für ein psychisch intaktes Kind das möglichst lange persönliche Ausbrüten sei. Devise: „Ungeborene Kinder spüren schon im Ei, wer sich draufsetzt.“ Als einen Nebenaspekt würde ich beizeiten gerne eruieren, ob sich das Frühstücksverhalten der Menschen änderte, wenn sie selbst zur Gruppe der Eier legenden Tiere gehörten.

Im „Lindner“, mit dem Generationen von SchülerInnen sich durch den Biologieunterricht quälten, gab es eine Seite mit einer schematischen Darstellung der Entwicklungsstufen von Lanzettfischchen, Vogel und Mensch, die sich viel weniger unterscheiden, als man annehmen könnte. Am Anfang ist bei allen dreien die Zygote, das befruchtete Ei, und zumindest bei Vogel und Mensch entwickelt es sich ziemlich ähnlich. Zuerst wird eine Art Urdarm ausgebildet, dann entsteht irgendwann der Embryo, und der hängt in beiden Fällen an einem Dottersack.

Der Dottersack macht nun aber quasi den größten Unterschied zwischen Eierlegern und Nicht-Eierlegern: Bei Reptilien und Vögeln sind die Eier bekanntlich relativ groß, der Dottersack muss schließlich eine Menge Nährmaterial hergeben. Menschliche (und Katzen-) Eier sind dagegen dotterarm, denn es bildet sich bald eine praktische Plazenta, die das Alien ernährt. Die Vorteile einer Fetus-Geburt sind mir allerdings trotzdem nicht klar geworden. Ich glaube, das ist mehr oder weniger eine Laune der Natur, und wenn sie anders – vielleicht besser – drauf gewesen wäre, dann könnte man heutzutage von den Vorteilen des Eierlegens profitieren.

Trotzdem liegt es mir fern, mich zu beschweren, immerhin läuft die Sache ja schon sehr lange einigermaßen gut – siehe Kätzchen. Als Endanekdote möchte ich aber noch auf die Theorien eines besonders ulkigen niederländischen Naturforschers des 17. Jahrhunderts aufmerksam machen. Dieser Mann, Antoni van Leeuwenhoek (1632 bis 1723), nach dem auch eine ausschließlich in Australien vorkommende Milbe benannt wurde, nämlich die Leeuwenhoekia australiensis, dieser Mann jedenfalls konnte mit seinen selbst gebauten Mikroskopen nicht nur als Erster rote Blutkörperchen und Bakterien sichtbar machen, die er als „ekelhafte Bestien“ bezeichnete, sondern hatte auch wilde Ideen zur Entstehung des Menschen. Nach Leeuwenhoek und seiner Präformationstheorie ist im männlichen Spermium, dem „Samen-Tierchen“, das künftige Wesen bereits in allen Teilen vorgebildet. Er illustrierte das mit drei Zeichnungen, auf denen sich ein Spermium, hastunichtgesehn, zum Menschen entwickelt, dem am Ende aber noch ein kleines Samenfadenschwänzchen auf dem Kopf herumwackelt, sozusagen als rudimentäre Erinnerung an seine Herkunft.

Im Gegensatz zur damals herrschenden Theorie der Spontanzeugung, nach der sich manche Lebewesen einfach so aus Sand entwickeln, ist die Idee mit dem riesigen gehenden Spermium zwar auf den ersten Blick etwas beängstigend, aber dennoch gar nicht so schlecht. Immerhin – auch sie entlastet in gewisser Weise die Frauen.

fragen zu leeuwenhoek? kolumne@taz.de