AUF DIE STUNDENPRODUKTIVITÄT IN DER INDUSTRIE KOMMT ES AN
: Statistik erlaubt neuen Standort-Streit

Gestern war „Labor Day“ in den USA. Und passend hatte die International Labour Organization (ILO) in Genf eine wunderbare Nachricht für die Amerikaner: Sie seien die produktivste Nation der Welt. Im Jahr 2002 hätten sie pro Beschäftigten 60.000 US-Dollar erwirtschaftet. Deutschland hingegen liegt nur bei 42.000 Dollar. Das erklärt sich zum Teil dadurch, dass US-Bürger deutlich mehr arbeiten als die Arbeitnehmer hierzulande. Da gibt es nicht sechs Wochen Urlaub, sondern nur zwei. Auch eine 35-Stunden-Woche ist unbekannt.

Wirklich kränkend für den deutschen Stolz ist eine weitere ILO-Zahl: Auch bei der Stundenproduktivität liegen die Amerikaner inzwischen vor uns! 32 Dollar erwirtschaften sie pro Arbeitsstunde. Das ist zwar nicht so viel wie die Spitzenreiter, die Norweger mit ihren 38 Dollar, aber eben deutlich mehr als die Deutschen: Sie dümpeln mit 29 Dollar Stundenleistung nur noch auf Platz 9 der ILO-Weltrangliste.

Ist also der Standort Deutschland mal wieder in Gefahr? Die Frage ist schlicht, die Antwort ist es nicht. Denn, Überraschung: Das Bundesamt für Statistik hat für das Jahr 2002 ganz andere Zahlen ermittelt als die ILO. Nach deutschen Berechnungen lag die Stundenproduktivität bei 36 Euro, macht beim aktuellen Umtauschkurs abgerundet 39 Dollar. Damit lägen wir sogar noch vor dem ILO-Spitzenreiter. Erklären können sich die deutschen Statistiker diese kuriose Abweichung nicht: Schließlich liefern sie die Basisdaten an die internationalen Kollegen nach Genf.

Aber vielleicht helfen andere Institutionen weiter. So hat sich auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau um Produktivitätsvergleiche bemüht. Ergebnis dort: Von 1991 bis 2001 habe die deutsche Stundenproduktivität um 2 Prozent jährlich zugenommen, in den USA um 1,9 Prozent. Markant: In der Industrie stieg die deutsche Stundenproduktivität um fünf Prozent, in den USA nur um 3,6 Prozent. Nichts zeigt besser, wie leistungsfähig wir als Exportnation sind. Um den Standort müssen wir nicht fürchten. Falls diese Zahlen stimmen.

ULRIKE HERRMANN