Libyen rehabilitiert

Die Regierung Gaddafi feiert die bevorstehende Aufhebung derUN-Sanktionen gegen Libyen als Ende ihrer Konfrontation mit dem Westen

von DOMINIC JOHNSON

Für Muammar al-Gaddafi ist es die Erfüllung eines alten Traums. „Eine neue Seite in unseren Beziehungen zum Westen“ verkündete Libyens Revolutionsführer in einer Fernsehansprache am Sonntagabend, als er eine Einigung mit Frankreich über Terrorentschädigung ankündigte.

Frankreich war die letzte Hürde für Libyens Rückkehr in die Staatengemeinschaft. 170 Menschen, zumeist Franzosen und Kongolesen, waren am 19. September 1989 bei der Explosion des Linienfluges Brazzaville–Paris über der Wüste von Niger ums Leben gekommen. 1999 sprach ein französisches Gericht sechs Libyer, darunter einen Schwager Gaddafis, wegen des Anschlags schuldig. Bereits damals wies Libyen jede Schuld von sich, offerierte jedoch 33 Millionen US-Dollar Entschädigung, 194.000 Dollar pro Opferfamilie. Nun hat die von Gaddafis Sohn Saif al-Islam geleitete Gaddafi-Stiftung die Summe aufgestockt. „Wir haben einen für alle annehmbaren Kompromiss gefunden“, erklärte gestern die Stiftung.

Der „Kompromiss“ war nötig geworden, weil sonst Frankreich ein Ende der UN-Sanktionen gegen Libyen blockiert hätte. Am 15. August hatte Libyen in einem Brief an die UNO die zivilrechtliche Verantwortung für den Terroranschlag übernommen, bei dem bei der Explosion eines US-Flugzeuges über dem schottischen Lockerbie am 21. Dezember 1988 270 Menschen umgekommen waren, und für den am 31. Januar 2001 zwei Libyer von einem in den Niederlanden tagenden schottischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Libyen sagte auch Entschädigung in Höhe von 2,7 Milliarden Dollar zu – 10 Millionen pro Opfer. Daraufhin brachten Großbritannien und Bulgarien im UN-Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf zur Aufhebung der Sanktionen gegen Libyen ein. Frankreich jedoch war empört, dass „seine“ Opfer viel weniger Geld kriegen sollten als die von Lockerbie. Paris drohte mit Veto, sollte Libyen nicht nachbessern. Gestern nun sagte Frankreichs Außenminister Dominique de Villepin, einem Sanktionsende stehe nichts mehr im Wege.

Offiziell stellt Libyen die Deals als Ende einer fünfzehn Jahre alten Konfrontation mit dem Westen dar, das den Weg für Auslandsinvestitionen ebnet. Saleh Ibrahim von der libyschen Wissenschaftsakademie sagte, Gaddafi wolle vermeiden, dass Libyen den Weg des Irak gehe und er selbst den Weg Saddam Husseins. Libyen knüpft jedoch die komplette Auszahlung der Entschädigungssummen an die Aufhebung des seit dem „La Belle“-Anschlag von 1986 geltenden totalen US-Handelsembargos gegen Libyen, das real viel größere Auswirkungen hat als das ohnehin seit 1999 provisorisch suspendierte Flug-, Waffen- und Ölinvestitionsembargo der UNO. Die Familien der Hinterbliebenen, so die libysche Hoffnung, sollen entsprechenden Druck auf die US-Regierung ausüben.

Der neue libysche Vorschlag einer Entschädigung der „La Belle“-Opfer soll die USA gnädig stimmen. „Die Gaddafi-Stiftung hat vor, die ‚La Belle‘-Opfer zu entschädigen“, erklärte die Stiftung letzten Donnerstag, „aber diese Initiative bedeutet weder ein Schuldeingeständnis noch eine Übernahme von Verantwortung.“ Dies verlangt Deutschland jedoch seit einem entsprechenden Gerichtsurteil vom 13. November 2001. Gestern dagegen nannte die Bundesregierung die Erklärung der Stiftung ein „neues und positives Element“.