Fußball spielen, um zu überleben

Die Townships von Kapstadt sind ein trostloses Pflaster für Lesben.Ihr einziger Treffpunkt ist Winnie’s Ladies Football Club in Guguletu

VON FRIEDERIKE WYRWICH

Die Schatten werden schon lang auf dem Fußballrasen von Guguletu. Die Luft ist kalt und schmeckt nach den Holzfeuern in den Townships. Hier und da kläfft ein Köter, auf dem Rasen keuchen die Spielerinnen von Winnie’s Ladies Football Club. „Louisa!“, brüllt eine über den Rasen, „hierher, Mann!“ Dann hört man wieder rennende Füße im Gras, lautes Schniefen, einen Kick.

Die Spielerinnen von Winnie’s Frauenfußballklub trainieren für das Vodacom-Spiel am Sonntag – ohne Coach Rama, denn der besitzt einen eigenen Laster, mit dem er als Kurier fährt. Außerdem finanziert er teilweise den Fußballverein. Hier in Guguletu, wo massenhaft Menschen an Aids erkranken, wo die Arbeitslosenrate vierzig Prozent beträgt, wo es Gewalt gibt und Drogenmissbrauch, ist Fußball so überlebenswichtig wie Arbeit.

Neben dem Spielfeld steht Funeka Soldaat. Sie hat selbst jahrelang für Winnie’s Football Club gespielt. Heute ist die 43-Jährige Mitarbeiterin im Triangle Project für Schwule und Lesben in Woodstock, Kapstadt. „Schwarze glauben, dass Homosexualität unafrikanisch ist“, sagt sie, „Männer vergewaltigen Lesben, weil die angeblich noch keinen guten Sex gehabt hatten.“ Von den schwarzen Lesben, die sie kenne, seien die meisten auf diese Weise schon mindestens einmal missbraucht worden.

Der Club wird vom Triangle Project unterstützt. Es war der erste Verein für Frauenfußball in der Provinz Western Cape und ist bis heute der einzige, der dazu steht, dass er zu neunzig Prozent aus Lesben besteht. Nicht dass Nowinile „Winnie“ Qhuma, Ehefrau von Coach Rama und Managerin des Clubs, die sexuelle Orientierung der Spielerinnen vor elf Jahren, als der Verein gegründet wurde, abgesehen hätte. Oder gar gewollt. Aber sie wollte vor allem Erfolg. „Dazu musste ich meine Spielerinnen glücklich machen – also musste ich ihnen die Freiheit lassen.“

Im netzlosen Tor steht Amanda. Sie hält die Bälle, springt nach links und rechts. „Ja, als ich fünfzehn war und mit meiner Freundin mal herumstand, haben die Jungs Steine nach uns geschmissen“, erzählt die kräftige 20-Jährige. „Ey, geh nach Hause, haben die geschrien, du kannst hier nicht mit deiner Freundin stehen!“ Drei Jahre war sie damals mit ihrer Freundin zusammen und wollte, dass die Beziehung hält: „Es ist mein Leben, nicht das der Jungs.“

Wer Amanda hört, könnte glauben, bei ihr sei alles in Butter. Die erste Beziehung hielt sechs Jahre, das eigene Coming-out mit zwölf, ohne dies ihrer Familie näher zu erklären. „Taten sprechen lauter als Worte“, sagt Amanda. „Meine Mutter hatte das ja schon selber gemerkt.“ Dennoch verlor sie ihre Freundin, weil sie Drogen nahm. „Wenn du süchtig bist, wirst du sehr wütend und grob“, sagt Amanda. „Meine Freundin konnte das nicht ausstehen.“ Heute geht die zu einer Sozialarbeiterin und will wieder clean werden. Zwei Stunden Fußballtraining sind für sie zwei Stunden weniger, in denen sie Mandrax nehmen könnte.

Drogenmissbrauch ist keine Seltenheit in Guguletu. Die Hoffnungslosigkeit dort aber hat vor allem mit der Armut zu tun. Viele der fünfzehn- bis 25-jährigen Kickerinnen schlagen sich mit Jobs durch. Sie wohnen mit ihren Familien in beengten Zimmern, meist in Wellblechhütten. Auch Winnie war arbeitslos, als sie den Fußballclub 1993 gründete. „Ich hatte gehört, dass es Frauenvereine in Übersee gibt“, sagt sie. „Außerdem treiben nur sehr wenige Frauen in unserer Community Sport.“ So trommelte sie die Mädchen, die sonst nur mit Jungs kickten, zusammen und bot ihnen an, einen Trainer für sie zu finden. Die erste Pille, die sie kaufte, war aus Plastik. Und die ersten Schuhe borgte sie von Männervereinen.

„Ich hatte den Traum, Fußballstar zu werden“, erzählt die 25-jährige Pini. „Doch ich wusste nicht, wie.“ Pini verliebte sich in der achten Klasse in ihre Lehrerin und erzählte es ihr. Die Lehrerin rannte zum Direktor, der Direktor holte die Mutter und klärte die auf. „Er hat ihr gesagt, dass ich lesbisch bin, nicht geisteskrank oder so, und dass das natürlich sei. Meine Mutter war trotzdem erst mal sehr wütend auf mich.“

Pini redet mit Leuten, die nicht verstehen, warum sie lesbisch ist. Sie glaubt an diese Methode. „Du musst mit dem Herzen sprechen“, sagt sie. „Dass du Mädchen liebst und nicht Jungs. Dann akzeptieren sie dich.“ Zu den Vergewaltigungen von Lesben hat sie ihre eigene Sicht: „Wenn wir in ’ner Kneipe sind und manche von uns sind betrunken, dann werden sie übermütig, geben an und wissen sie nicht mehr, was sie tun.“

Lesben jedenfalls wüssten, dass sie nachts nicht alleine rausgehen sollten, sagt Pini. Manche täten es aber trotzdem. „Aber wenn du dann angegriffen wirst, ist niemand da, der dich verteidigen kann.“

Gewalt gegen Frauen ist in den Townships nichts Ungewöhnliches. Gegen Lesben bekommt sie aber eine besondere Note, sagt Funeka. „Die Typen denken, dass wir Männer sein wollen“, sagt sie. Deshalb würden die besonders hart vorgehen, beispielsweise, indem sie sie mit Messern statt mit Fäusten attackierten. „Die sagen: Wenn ihr wie Männer sein wollt, dann behandeln wir euch auch wie welche.“

Funeka hat solche Angriffe selbst überlebt. In den vergangenen elf Jahren wurde sie zweimal durch Messerstiche lebensgefährlich verletzt, als sie mit ihrer Freundin nach einem Kneipenbesuch nach Hause wollte. „Und die Polizei behandelt dich, als ob du es verdient hättest“, sagt sie. „Die sagen: Warum läufst du auch wie ein Mann herum. Wenn du dich wie eine Frau benehmen würdest, wäre dir das nicht passiert.“

Winnies Fußballerinnen gehören zu den besten der Provinz. Sie spielen in der höchsten Liga überhaupt und haben damit die Chance, für die Nationalmannschaft ausgewählt zu werden oder das Augenmerk von Talentscouts aus Übersee auf sich zu ziehen.

Winnie ist nicht nur Managerin des Clubs, sondern auch Ansprechpartnerin für Probleme, mit denen die Spielerinnen nicht zum Trainer gehen wollen. „Ich bringe sie zur Beratungsstelle, wenn sie vergewaltigt wurden“, sagt sie. „Das ist schwierig. Die Spielerinnen sind sehr verletzbar, sehr aggressiv und gehen auch nicht besonders sensibel mit den anderen um.“ Die Männer, sagt auch sie, wollen dir als Lesbe beweisen, dass du eine Frau bist.

Und wie viele Spielerinnen im Team wurden schon einmal vergewaltigt? „Nicht so viele“, sagt Winnie. „vielleicht dreißig Prozent.“ Studien gibt es zu diesem Thema nicht. Wahrscheinlich wären sie aber wegen der hohen Dunkelziffer und der Angst, sich als lesbisch zu outen, ohnehin wenig aussagekräftig.

Am Sonntag vor dem Spiel sammelt Coach Rama die Spielerinnen mit seinem abgeschabten Laster ein. Der Laster sei ihr Zuhause, sagen die Spielerinnen. Sie fahren darin zum Training, halten ihre Sitzungen ab, schlafen bei Auswärtsspielen auf Matratzen im fensterlosen Laderaum.

Vor dem Spiel geht es zum Fleischmarkt für eine anständige Mahlzeit vor dem Kick-off: In einer überdachten Halle nehmen Winnie’s Ladies einen gegrillten Schafskopf auseinander, essen gebratenes Rindfleisch auf Toastbrot und wischen sich anschließend die Hände an Zeitungspapier ab.

„Die Spielerinnen sind fast immer zusammen“, erzählt Winnie, „oft auch nach dem Training.“ Genaues weiß sie nicht, aber außer in ihrem Fußballverein gibt es kaum einen Ort, wo Lesben in den Townships ihresgleichen treffen können. Sind sie schon mal in der Lesben- und Schwulenszene der City unterwegs gewesen? Ja, sagt Pini, ganz nett wär’s gewesen. „Aber dann bin ich schwarz und die sind weiß, die haben viele Dinge, ich hab gar nichts. Da habe ich mich geschämt. Deswegen will ich da gar nicht hin, ist nicht mein Stil.“

Wer sich kein Fahrgeld fürs Training leisten kann, muss warten, bis er eingeladen wird, um in die Stadt zu fahren. Manchmal wird in der Szene daran gedacht – wie beim schwul-lesbischen Filmfestival im März, als Triangle ein paar Sammeltaxis mietete und die Spielerinnen ins Kino einlud –, meist jedoch nicht. Im Februar machte sogar ein Kapstädter Schwulenclub auf sich aufmerksam, als er vor dem Gleichstellungsgericht verklagt wurde, schwarze Besucher am Eingang zu diskriminieren. Die Kläger, ein schwarz-weißes Paar, bekamen Recht.

Es ist kalt und windig auf dem Fußballplatz in Guguletu. Winnie’s Ladies gehen in glänzend grünen Trikots und weißen Hosen aufs Spielfeld wie andere Leute in ihren Sonntagssachen zur Kirche. „Fire! Burn!“, rufen sie im Kreis, Hände auf den Schultern, Köpfe nach unten. „Fire! Burn!“ Ein schnelles Gebet, dann geht es los.

„Fußball zeigt dir, wie stark du bist“, meint Amanda, die starke Torfrau. „Damit zeige ich diesen ganzen Typen, dass ich genauso viel kann wie die auch.“ Auf einer kleinen Tribüne am Spielfeldrand sitzen die Freundinnen und Fans von Winnie’s Ladies und jubeln gegen den Wind an. Witze werden gerissen, Chipstüten geteilt, Pärchen legen die Arme umeinander. Solange die Spielerinnen auf dem Feld stehen, kann keiner sie behelligen.

FRIEDERIKE WYRWICH, 32, Journalistin in Berlin, besuchte im südafrikanischen Herbst (im April) Winnie’s Club – mit einem Stipendium der internationalen Journalistenprogramme