Die Opern stehen Modell

Mit seiner Opernreform ist Kultursenator Thomas Flierl nicht am Ende seiner Pläne. Museen, Sprechbühnen und freie Szene will er ähnlich organisieren. Das wird hart, zumal kein klares Konzept vorliegt – nur Visionen für „städtische“ Kulturpolitik

„Die Förderung der freien Szene soll auf eine stabile Grundlage gestellt werden“

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Wo große Linien gezogen werden, bleiben die kleinen Striche unterbelichtet. Das bedeutet keinesfalls, dass sie nicht existieren. Und hinzu kommt: Nicht immer zentral und im Brennpunkt zu stehen hat auch seine Vorteile. Kultursenator Thomas Flierl (PDS) hat in den vergangenen Monaten nach dieser Devise gehandelt. Die Strategie seiner Kulturpolitik war, das große Reformpaket für die Opernlandschaft in der Stadt bis Ende 2003 zu schnüren. Dem Primat der Opernstrukturreform und dem Erhalt der drei Bühnen mittels Gründung einer Stiftung wurde alles untergeordnet. Zur Marginalie verkleinert erschienen die Probleme der Sprechbühnen, Orchester, Museen, freien Szene oder anderer kommunaler und bezirklicher Kulturinstitutionen.

Flierl hat dies nicht von ungefähr so eingefädelt und die so genannten städtischen Kultureinrichtungen quasi zur Terra incognita verblassen lassen. Die Strategie hatte Methode, ging es doch darum, eine kulturfeindliche Diskussion in den Parteien sowie den Spardruck von mehreren Millionen Euro gerade von der „ungeschützten“ freien Szene und ihresgleichen zu nehmen und stattdessen alles – Reformwille, Einsparzwang von rund 33 Millionen Euro bis 2009 oder die Hoffnung auf Bundeshilfe – auf die Opern zu fokussieren.

Mit Erfolg. Denn Geld für das Podewil, die Volksbühne, kommunale Galerien, das Bethanien, die Tanzfabrik et cetera von der Staatsministerin für Kultur? Keine Chance. Aber Mittel loszueisen für die Staatsoper, die Komische und die Deutsche Oper, jenen „Leuchttürmen“ hauptstädtischer Kultur, war kalkulierbar. „Das Fusionsszenario konnte abgewehrt werden“, die erzielten Vereinbarungen mit dem Bund „entlasten den Berliner Kulturhaushalt jetzt dauerhaft um 16,4 Millionen Euro“, resümiert Flierl heute. Chapeau!

In der Kulturverwaltung wird auch bis zum Ende des Jahres 2003 die Opernreform das Thema bleiben. Bis zum 1. Januar 2004 soll die Opernstiftung gegründet sein, ein Stiftungsdirektor muss gefunden werden, die Intendanten müssen ihren Haushalt und die tarifliche Politik neu definieren.

Zugleich werden im Hause des Kultursenators ab dem Herbst wieder jene Szenarien für kulturelle Bereiche und Institutionen virulent, die im Schatten der Opernreform überwintern durften.

Flierls Sprecher Torsten Wöhlert nennt die Einrichtungen, denen ein Paradigmenwechsel vergleichbar den Opern bevorsteht, will man sie nicht dauerhaft gefährden: Sprechbühnen, städtische Museen und freie Szene. Wöhlert: „Die Sprechbühnen werden neu geordnet werden müssen.“ Klar ist auch, dass der Stiftung Stadtmuseeum mit 18 Einrichtungen „ein Wandel bevorsteht“, bei dem die Institutionen, Sammlungen und Programme neu geordnet werden.

Schließlich soll die Förderung der freien Szene „auf eine neue stabile Grundlage gestellt werden“, so Flierl. Anstelle des jährlichen Bangens um Subventionen und die Existenz angesichts immer neuer haushaltsbedingter Kürzungsforderungen denkt der Kultursenator an „Reorganisation, Entstaatlichung und Planungssicherheit“.

Diesen Plänen steht, glaubt man Flierl, erneut eine Strategie vor. Um Kultur nicht abermals nur unter der Maxime von Betriebswirtschaftlichkeit oder der ewigen Frage von Relevanz versus Bedeutungslosigkeit diskutieren zu müssen, plädiert der Senator für eine grundlegende Reform „städtischer“ Berliner Kultur, Förderung und Kulturpolitik insgesamt. In einem Papier „Berlin: Perspektiven durch Kultur“ hat Flierl „kulturpolitische Visionen für die Stadt“ ausgeheckt, die für die Zukunft städtischer Kultur und kultureller Aufgaben zuerst ein neues Verständnis einklagen: Nach dem Vorbild der Opernreform sollen auch die bis dato am öffentlichen Tropf hängenden Einrichtungen – von den Sprechbühnen bis zum Museum – mehr Eigenverantwortlichkeit praktizieren. Die Theater etwa sollen nach der Entschuldung und einer Revision der Personalmasse mehr und flexibler kooperieren. Für die Volksbühne, das Gorki-Theater oder das Deutschen Theater (DT) ist ein „Bündnis für die Bühnen“, wie Flierl das nennt, anvisiert. Als selbstständige Gesellschaften (GmbHs) könnten sie über Mittel, Einkünfte und Ausgaben, die Ensembles und Leiter bestimmen.

Für die freie Szene denkt Flierl ebenfalls an ein Dach: Projekte und Infrastrukturförderungen für diese sollen zukünftig in enger Anlehnung an den Hauptstadtkulturfonds oder die Lotto-Stiftung durch „mehrjährige Zuwendungsverträge“ abgesichert werden. Auch hier soll das Zauberwort von der „Kulturstiftung Berlin“ aus der Abhängigkeit staatlicher Etats führen und die Steuerung über temporäre Fonds gelingen.

Für die Umstrukturierungsmodelle sehen die Flierl-Perspektiven zugleich eine notwendige Voraussetzung vor: Der Berliner Kulturbetrieb muss sich klar und unabhängig von so genannter hauptstädtischer oder preußisch-historischer Kulturverpflichtung definieren. Andauernde Übertragungen von Einrichtungen auf den Bund und die Uneindeutigkeit eigener Aufgaben schadeten der Substanz berlinischer Kultur, meint Flierl. Eine Oper hier, ein Museum dort, eine Akademie hier, ein Theater da für den Bund – welchem Konzept untersteht eigentlich die Kultur Berlins?, fragt Flierl. Erst wenn das Bewusstsein existiert, was zu uns gehört und was wert ist zu erhalten, zu fördern und zu stärken, greifen die angestrebten Formen von Flexibilisierung, Umstrukturierung und neuer Förderpraxis. Flierl: „Wenn die Hauptstadtfrage geklärt ist und die Fusion zwischen Berlin und Brandenburg vollzogen ist, wird die Berliner Kulturpolitik mit allem Nachdruck auf ihre städtischen und kommunalen Aspekte verwiesen.“ Nicht nur der Baufortschritt auf der Museumsinsel oder die Errichtung einer Schlossfassade bestimmten „die kulturelle Lebensqualität der Berliner“, sondern der Zustand und Ausstattungsgrad städtischer und kommunaler Kultureinrichtungen.

Dergestalt stört kaum jemand, dass Flierl den Umriss sowie den Umbau der städtischen Kultur vorhat. Im Gebälk jedoch knirscht es: Kritiker sehen in den Strukturveränderungen für die Museen die Zerschlagung der städtischen Museenlandschaft. Der Flexibilisierungsforderung für die Sprechbühnen wird eine Privatisierungstendenz vorgehalten. Der Folie der Opernreform für die freie Szene sieht man mit Argwohn entgegen. Und was wird aus den Gedenkstätten?

Schließlich hat der Kultursenator die eigens bemühte Frage „Was ist hauptstädtische Kultur und was gehört zu Berlin?“ nicht gelöst. Es gibt keine Absprache mit dem Bund über eine klare und zukünftige Aufgabenverteilung. Nimmt man das jüngste Beispiel, bei dem der Bund als Äquivalent für die Entlastung des Berliner Kulturetats gleich die Akademie der Künste, die Kinemathek und den Hamburger Bahnhof in seine Obhut nahm, trifft zu, was die grüne Kulturexpertin Alice Ströver sagte: Ein solcher Handel gleiche einem Gemischtwarenladen, wo konzeptionslos Institutionen verschoben werden.

Flierl selbst weist die Kritik zurück, muss aber einräumen, der Bund habe an strengen Regeln und Festlegungen für kulturelle Institutionen kein Interesse. Doch genau hier entscheidet sich, ob die Strategie des Senators aufgeht. Er wird verhandeln müssen, selbst wenn der Weg ins Kanzleramt schwer wird. Denn mit dem Bund ist vieles möglich. Ohne ihn alles nichts.