american pie
: Leichtathletik-WM: USA nicht ganz glücklich

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

„Eine dickensische Erfahrung“, nannte Craig Masback, Chef des Leichtathletik-Verbandes der USA (USATF), rückblickend die WM in Paris und fügte erläuternd hinzu: „Gute Zeiten, schlechte Zeiten.“ Damit spielte er nicht auf eine hausbackene Fernsehserie deutscher Provenienz an, sondern auf den Charles-Dickens-Roman „Harte Zeiten“. Die gab es in Paris nämlich für das Team der USA, bis mit eindrucksvollen Siegen in drei von vier Staffeln ein versöhnliches Ende und die beste Medaillenbilanz seit Stuttgart 1993 erreicht wurde.

Zuvor waren Masbacks Athleten meist negativ aufgefallen. Die 100-m-Läufer Greene und Montgomery einfach stehen gelassen, ihr Kollege Jon Drummond nach seinem chaplinesken Anrennen gegen kafkaeske Regeln disqualifiziert, Sprint-Doppelsiegerin Kelli White positiv stimuliert, und dann kam auch noch eine Altlast ans Licht: der Fall des neuen 400-m-Weltmeisters Jerome Young, welcher vor Olympia 2000 positiv auf Nandrolon getestet, vom Verband aber freigesprochen wurde. In Sydney bekam er eine Goldmedaille in der 4-x-400-m-Staffel ab, weil er zwei Vorläufe bestritten hatte.

Die Vorfälle waren starker Tobak für Craig Masback, dessen Organisation erst vor einigen Monaten so glorreich aus dem Fall Carl Lewis herausgekommen war. Da hatte der Weltverband IAAF tagelang gewettert, dass der positive Ephedrinbefund von Lewis und einigen anderen Athleten vor Olympia 1988 schmählich unterschlagen worden wäre, um dann mit einem Blick in die eigenen Akten festzustellen, dass man sehr wohl informiert und der Freispruch gültig war. Auch die übrigen mit Spannung erwarteten Enthüllungen des ehemaligen obersten US-Dopingbekämpfers Wade Exum erwiesen sich als erstaunlich dünn, ein kleiner Triumph für den Verband, wie er jetzt kaum zu erwarten ist.

Richard Pound, Chef der Welt-Antidoping-Agentur (Wada), fordert massiv eine Untersuchung des Falles Young, das IOC will dem nachkommen. Nicht zu Unrecht wird auch in den USA die Parallele zu Dieter Baumann gezogen. Beide waren Nandrolon-positiv, beide waren von ihrem nationalen Verband freigesprochen worden. Doch während der DLV die Baumann-Geschichte brav veröffentlicht hatte, die IAAF so das Urteil kassieren und den Deutschen wieder sperren konnte, gab es diese Möglichkeit beim klandestinen Vorgehen in Sachen Jerome Young nicht. Dessen Suspendierung war aufgehoben worden, weil sein positiver Test von zwei negativen flankiert und daher als dubios eingestuft wurde. Damit war der Fall für die US-Funktionäre erledigt, seither kursierten jedoch hartnäckige Gerüchten über einen gedopten Medaillengewinner aus den USA, diverse Athleten wurden verdächtigt. Wenigstens dies sei jetzt vorbei, gewann IOC-Präsident Rogge der späten Enthüllung eine gute Seite ab.

Die IOC-Untersuchung bezüglich Young dürfte im Sande verlaufen, und auch Kelli White wird wohl mit Medaillenverlust und Verwarnung davonkommen. Ihr Arzt Brian Goldman, ein Kinderpsychiater, hat inzwischen bestätigt, dass sie ebenso wie Mutter und Tante an Tagesschläfrigkeit (Narkolepsie) leide, weshalb er ihr einige Proben des bewussten Mittels gegeben habe. „Ein Jetlag kann bei ihr zwölf Tage dauern“, gab der Mediziner zu Protokoll.

Der Schaden für den US-Sport ist dennoch beträchtlich, denn schließlich ist man dort gerade bestrebt, den notorisch schlechten Ruf in Sachen Dopingbekämpfung loszuwerden. Fragwürdige Freisprüche, ein mangelhaftes Kontrollsystem und die Geheimhaltung von Dopingfällen warfen besonders in der Leichtathletik stets ein ungutes Licht auf die Medaillenabgraser aus den Staaten. Passiert ist lange Zeit wenig, da die Verbände auf der einen Seite den Erfolg nicht missen wollten, es auf der anderen mit einem tückischen Rechtssystem und scharfen Gesetzen zum Persönlichkeitsschutz zu tun haben. Im Falle des hieb- und stichfest gesperrten 400-m-Läufers Butch Reynolds hätten USATF resp. IAAF einst um ein Haar 27 Millionen Dollar Schadenersatz zahlen müssen, weil ein Provinzrichter in Ohio nichts von Dopingbekämpfung hielt.

Die Gründung einer Nationalen Anti-Doping-Agentur in den USA und die Annahme des Welt-Antidoping-Codes sollten eigentlich den Weg zum Besseren ebnen. Paris stellt in dieser Hinsicht einen herben Rückschlag dar, was Craig Masback wohl bewusst ist. Für Oktober hat er ein Gipfelgespräch in Miami angeregt, bei dem mit Athleten, Trainern und Funktionären über das „Benehmen“ der Sportler geredet werden soll. Außerdem will sein Verband eine Abteilung für internationale Beziehungen einrichten, um das Image zu verbessern. Eine Initiative, die beim Weltverband begrüßt wird. „Der US-Verband“, findet IAAF-Generalsekretär Istvan Gyulai, „sollte sich hinsetzen und herausfinden, wie er es in Zukunft vermeiden kann, immer so unglücklich dazustehen.“ MATTI LIESKE