Aller Anfang ist Sand

Farbe selbst herstellen, sich inspirieren lassen, Ideen entwickeln: Wenn Helena Rennkamp und Tanja Loderhose mit Kindern malen, gilt vor allem eines: Das Machen ist wichtig, nicht das Endprodukt

von Sandra Pingel

Der 5-jährige Nils strotzt vor Tatendrang. Bereitwillig siebt er Erde durch ein Teesieb, eine mühselige Aufgabe. Doch während ein Mädchen nebenan schummelt und den Sand einfach vom einen in den anderen Behälter schaufelt, ist Nils unermüdlich: „Was soll ich jetzt noch machen, Tanja?“

Eigentlich soll im Garten des Kinderhauses Osteresch in Groß Flottbek an diesem Sommertag Kunst entstehen. Doch bevor es mit dem Malen losgehen kann, muss erst mal ausreichend Erde gesiebt werden, bis sie fein genug ist, um sie mit Sand, Kleister und Farbpigmenten zu einer haftenden Masse zu verrühren. Farben selbst herzustellen gehört zum Konzept des „malwerks“. „Kunstvermittler“, sind sich Tanja Loderhose und Helena Rennkamp einig, mit diesem Begriff sei ihr Selbstverständnis am besten wiedergegeben.

Nach Herzenslust sieben, mischen und malen

In das Kinderhaus Osteresch kommen die beiden Frauen mit ihrem „malmobil“ seit Januar dieses Jahres regelmäßig. Jeden Freitagvormittag können die Kinder zwei Stunden lang nach Herzenslust sieben, mischen und malen. Wer nicht will, muss auch nicht. Während Nils noch Sand siebt, scheuert ein Zweijähriger in Windeln die Steinplatten neben dem Sandkasten. Weil er dazu Lust hat. Zum Malen wird kein Kind gezwungen.

Ähnlich verhält es sich in den Kursen, die im Ottenser „malwerk“-Atelier für Kinder zwischen zwei und 13 Jahren angeboten werden. „Kinder sollen nicht eingeschränkt werden, sondern Ideen entwickeln können“, erläutert Tanja Loderhose. „Es geht um prozessorientiertes Arbeiten, das Machen ist wichtig, nicht das Endprodukt an sich.“ Eine Bewertung der Ergebnisse wie etwa im Schulunterricht wird bewusst vermieden.

Im „malwerk“ bieten Tierfiguren aus Plastik, Naturmaterial wie Steine und Blätter und häufig auch die Kunstwerke von Rennkamp und Loderhose Inspiration. Eine kleine Bibliothek hält Kunstbücher bereit, wer will, kann sich auch zum Schmökern in den Leseraum des „malwerks“ zurückziehen. Oder sich in der kleinen Druckwerkstatt im Tiefdruck versuchen.

Der Sand zum Mischen der Farben kommt aus Dänemark, die Farbpigmente werden aus Italien besorgt. Die intensive Beschäftigung mit Farben, die über Wachsmaler und Tuschkasten hinausgeht, ist ein wesentliches Anliegen der Künstlerinnen, die beide auch im Atelier in der Ottenser Daimlerstraße arbeiten. Tanja Loderhose, 35 Jahre alt, hat Kunst studiert, die 38-jährige Helena Rennkamp studierte Malerei und lässt sich seit 2000 zur Kunsttherapeutin ausbilden.

Erfolgserlebnisse gibt es reichlich, obgleich das „malwerk“ erst im November vergangenen Jahres eröffnet wurde. „Ein Mädchen, das anfangs nur in Stereotypen malte, nach dem Motto: ein Haus, der Garten und der Himmel, hat den Mut entwickelt, sich auszuprobieren und malt jetzt ganz frei, was ihr gefällt“, erzählt Rennkamp und lächelt zufrieden. Und auch die anfängliche Angst mancher Kinder vor Matsch und Dreck wurde durch den lockeren Umgang mit Sand, Lehm und Erde beseitigt.

Noch bildet die Zusammenarbeit mit dem Kinderhaus Osteresch die Ausnahme. Hauptsächlich wird in den Räumen in Ottensen gemalt, wo fast täglich Kleingruppen mit maximal acht Teilnehmern zum inspirierten Schaffen zusammenkommen. Zwischen sechs und zehn Euro kostet so ein Kurs pro Stunde und Kind, für einen Besuch mit dem „malmobil“ berechnen die Künstlerinnen zwischen 25 und 30 Euro pro Stunde.

In Groß Flottbek sorgt ein Elternförderverein dafür, dass Projekte wie diese zustandekommen. Regelmäßig kommt auch eine Bewegungstherapeutin ins Kinderhaus. Extras, die Leiterin Julia Tiedeken als wichtige Ergänzung zum alltäglichen Kita-Programm betrachtet. „Bildung ist doch das wichtigste, von Anfang an“, sagt sie.

Nils jedenfalls ist dankbar für dieses Angebot. Plötzlich ist er hinter einem Baum verschwunden. Als er wieder hervorkommt, hält er einen Stock in der Hand – zum Malen. Tuschkasten oder Wachsmalstifte braucht es dafür tatsächlich nicht.

Das „malwerk“ bietet neben Kinderkursen auch viele Projekte für Erwachsene und hilft bei der Mappenentwicklung für die Bewerbung an Kunsthochschulen. Die Kurse sind integrativ. Informationen zu Preisen oder den zahlreichen Schnupperangeboten bei: malwerk, Daimlerstraße 75 a, 22761 Hamburg, ☎ 85 50 67 01, www.malwerk-hamburg.de