berliner szenen Das Wort „Schlesien“

Polnische Wirtschaft

Das Restaurant hieß „Deutsch-Schlesisches Restaurant“. Dieser Name schmeckte eklig, nach Erika Steinbach, nach Revisionismus, Deutschtümelei. Wir hatten lange einen Bogen um dieses Etablissement in Moabit gemacht, denn derb-deutsches schmeckt uns nicht so. Nun aber trieb uns der Durst, hetzte uns regelrecht, wir brauchten ein Bier. Molly’s Stübchen aber versprach noch mehr Elend, zum Jolly Joker war es, so schien uns, viel zu weit. Jetzt, im Durstrausch, hatte das Wort „Schlesien“ plötzlich eine eigentümliche Wirkung. Das Hässliche zog uns an. Die Ästhetik des Bösen lockte. „Komm, nur ein Bier!“ „Aber wirklich nur eins!“ „Keinesfalls mehr!“ Wir betraten das Restaurant, das auf gediegen machte, obschon es nur Sekunden dauerte, bis die dunkelrote Strukturtapete und das Golddekor den Blicken nicht mehr standhielten: Alles hier war billig. Und angenehm. Hinten in der Ecke ein Kicker und ein Billardtisch, drei Gestalten an der Theke, Nachbarn und Alkoholiker zweifelsohne. „Küche zu“, rief sofort, gar nicht unwirsch, der Barmann, mit derbem Akzent, ein Pole offensichtlich. Ein Pole? Was würde Frau Steinbach sagen? Doch da fiel uns unser Denkfehler auf: Würden Vertriebenenverbände je „Deutsch“ und „Schlesisch“ als getrennte, nur mit einem Bindestrich verbindbare Elemente begreifen können? Nein, es war hier wie in Polen, wo ein Gericht „Zupa Borscht“, „Polish Borscht“ und „Schlesische Suppe“ heißt. Die Polen, internationalistisch wie sie sind, nehmen Rücksicht auf die deutschen Unarten. So auch dieses Restaurant. Man deutscht kurzerhand die westpolnische Küche ein, dann kann die Speisekarte von den Deutschen verstanden werden. Wir waren erleichtert. Das Bier war dann auch gut.

JÖRG SUNDERMAIER