„Die Ölreserven sind nicht das Problem“, sagt Friedemann Müller

Der Regierungsberater erwartet noch mehr Druck auf den Golf. Dort werden sich China und die USA um Öl streiten

taz: Herr Müller, der Ölpreis ist seit Monaten auf Rekordniveau, an den Märkten regiert die Angst vor dem Mangel. Kündigt sich jetzt das Ende des Ölzeitalters an?

Friedemann Müller: Für den Klimaschutz wäre es wünschenswert. Aber es ist durchaus möglich, dass der Ölpreis wieder auf unter 30 US-Dollar sinkt. Dann wird wieder Ruhe einkehren – Business as usual.

Wir haben also eigentlich gar kein Problem mit dem Öl?

Langfristig schon. Aber das liegt nicht in der Verknappung der vorhandenen Reserven, wie vielfach angenommen wird.

Sondern?

Das Angebot ist ausreichend, es konzentriert sich nur immer stärker. Und zwar auf die Golfregion, das schwierigste Krisengebiet der Welt. Mehr als 60 Prozent aller Ölreserven befinden sich dort. Und die Welt wird vom Golf langfristig immer abhängiger werden. Denn in der Nordsee oder in Alaska ist der Förderungszenit bereits überschritten. Die OECD-Länder decken zurzeit 53 Prozent ihre Ölverbrauchs durch Importe. Diese Zahl wird innerhalb von 30 Jahren auf 78 Prozent steigen, in Europa auf 85 Prozent.

Es heißt doch immer, der steigende Verbrauch in China und Indien treibt den Preis zurzeit in die Höhe?

Das kommt ja noch hinzu. China wird 2030 voraussichtlich mehr Öl importieren, als alle OECD-Länder heute. China und USA werden sich als Großmächte gegenüberstehen und diesen Konflikt auch über das Öl austragen. Der Markt wird sich also immer stärker politisieren. Und die Golfregion, die ohnehin unter Stress steht, gerät immer stärker unter Druck.

Also war es richtig vom US-Präsidenten George W. Bush, dass er den Vereinigten Staaten über den Krieg im Irak Einflussmöglichkeiten im Golf sichern wollte?

Einfluss wahren ist wichtig. Denn wenn die Region stabil wird, entzieht das auch den Spekulanten auf dem Ölmarkt den Boden. Dennoch hatte Präsident Bush nicht Recht. Die Amerikaner waren schon vor dem ersten Irakkrieg mit ihrer Flotte im Golf so präsent, dass sie die Seewege beherrschten. Das hätte ausgereicht. Alles andere militärische Engagement war kontraproduktiv. Das dürfte mittlerweile unumstritten sein.

Aber haben Sie denn einen besseren Vorschlag, wie man die Golfregion politisch stabilisieren kann?

Das kann nur langfristig und mit viel Geduld passieren. Da muss Selbstbewusstsein aufgebaut und langfristige Dialoge geführt werden. Außerdem muss auch für die Region nach Alternativen zum Öl geforscht werden. Der Golf ist von der Sonne verwöhnt, dort könnten gut Solarkraftwerke gebaut werden.

Warum sollten die Staaten das denn tun? Durch die großen Ölreserven haben sie doch eine Schlüsselposition. Die setzt man doch nicht für Solarstrom aufs Spiel.

Aber die Monopolstellung beim Öl wird in der Region nicht sehr positiv gesehen. Man würde sehr gern eine breitere Wirtschaftsstruktur zustande bringen. Darin war man bislang überhaupt nicht erfolgreich.

Die Staaten isolieren sich doch aber auch selbst. Die Opec legt hinter verschlossenen Türen ihre Förderquoten fest. Länder wie der Iran gelten nicht gerade als weltoffen. Was könnten denn die internationalen Organisationen bewirken?

Die Vereinten Nationen müssen wieder das Sagen bekommen. Und die Welthandelsorganisation muss stärker den Dialog mit der Golfregion und der Opec führen und den Golf pfleglich behandeln. Es muss einerseits zu Reformen kommen. Das saudische System ist im Kern noch mittelalterlich und nicht von der breiten Bevölkerung getragen. Andererseits muss zu den Mächtigen Vertrauen aufgebaut werden. Die Europäer haben das in einem Dialog mit dem Iran versucht und zum Teil sehr fruchtbare Ergebnisse erzielt.

Welche Rolle können Russland und die kaspischen Staaten spielen? Dort werden doch auch noch riesige Vorkommen vermutet.

Das wird maßlos überschätzt. In den nächsten 20 Jahren kann Russland seine Produktionskapazitäten nicht wesentlich erhöhen. Es ist sehr teuer, dort Öl zu fördern. Außerdem sind die Transportwege sehr lang. Das sind Nachteile zum Golf. Und schließlich hat Russland auch noch nicht entschieden, ob wirklich ausländische Investoren in großem Stil ins Land gelassen werden sollen. Aber egal wie das ausgeht, Russland spielt im Ölmarkt eine Liga unter den Golfstaaten. Das Land verfügt nur über 6 bis 7 Prozent der Weltreserven.

Vielleicht sollte man doch beim Verbrauch ansetzen. Die Autoindustrie forscht seit Jahren an der Brennstoffzelle herum, aber die Serienproduktion lässt auf sich warten.

Es stimmt, es muss eine viel größere Anstrengung gemacht werden, um den Motor der Zukunft zu finden. Aber die Antwort auf diese Frage können wir nicht den Autokonzernen überlassen. Hier sind Forschungsprogramme gefragt, die über die einzelnen Unternehmensinteressen hinaus gehen. Dazu muss die Politik aktiver werden.

Was sagt der Kanzler aller Autos dazu, wenn Sie ihn in diesem Punkt beraten?

Ich habe in diesem Punkt nicht das Ohr des Kanzlers. Ich vermute, er konzentriert sich mehr auf Krisenmanagement als auf eine langfristige Lösung.

INTERVIEW: STEPHAN KOSCH