Und sie bewegt sich doch!

Erika Steinbach, Chefin des Bunds der Vertriebenen, plädiert für eine neue gesetzliche Grundlage, die in Sachen Entschädigung und Restitution der aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten Vertriebenen für alle Beteiligten Rechtssicherheit schaffen soll

Wir werden der Regierung bei einem neuen Gesetz keinen Stein in den Weg legen

AUS BERLIN CHRISTIAN SEMLER

Erika Steinbach hat’s nicht leicht. Wenn die Vorsitzende des Bunds der Vertriebenen sich verhandlungsbereit gibt, so fragt die kritische Öffentlichkeit sofort nach der vorher verzehrten Kreideportion. Und doch scheint es jetzt, als sei Bewegung gekommen in die Glaubenssätze Steinbachs. Sie sprach gestern in Berlin zum „Stand offener Vermögensfragen“, sprich Entschädigungs- und Restitutionsansprüchen der Vertriebenen. Dabei zeigte sich Erika Steinbach flexibel gegenüber möglichen rechtlichen Lösungswegen – vermied allerdings jede eigene Positionsbestimmung.

Zuerst war allerdings Angriff angesagt. Bundeskanzler Schröder habe mit den Passagen seiner Warschauer Rede „eine unerträgliche politische Doppeldeutigkeit praktiziert“, sagte Steinbach. Schröder hatte die materielle Ansprüche der deutschen Seite an Polen wegen der Vertreibungen zurückgewiesen. Steinbach warf Schröder vor, dass sich die Bundesrepublik einerseits weigere, solche Ansprüche geltend zu machen oder sie zu unterstützen. Andererseits verweise das Bundesfinanzministerium Vertriebene auf den Klageweg gegenüber Polen. Schröder müsse sich entscheiden. Entweder er übernehme die Rechtsauffassung aller bisherigen Bundesregierungen, wonach Vermögensfragen in den ehemaligen deutschen Ostgebieten offen seien und respektiere die entsprechenden Gesetze samt Rechtsprechung. Oder aber Schröder müsse eine neue gesetzliche Grundlage schaffen, die den Verzicht festlege. Am schlimmsten sei der Zustand der Rechtsunsicherheit, der die Vertriebenen ebenso treffe wie die ostmitteleuropäischen Staaten.

Wie ein solches Gesetz aussehen soll, ob es als völkerrechtlicher Vertrag auszugestalten sei oder als einfaches Bundesgesetz, sei nicht ihre Sache. Darüber soll sich die Bundesregierung den Kopf zerbrechen. Trotz insistierende Nachfragen blieb hier Steinbach die Antwort schuldig.

Sie versprach allerdings, Schröder „bei einem solchen Gesetz keine Steine in den Weg zu legen“. Sie sei sogar bereit, die „Nulloption“ mitzutragen, das heißt den Vorschlag seitens polnischer Politiker, dass beide Seiten künftig darauf verzichten, Ansprüche gegeneinander zu erheben. Wie aber steht es dann mit Forderungen der Vertriebenen an die deutsche Bundesregierung? Steinbach legte großen Wert auf die Feststellung, dass im Verband, der immerhin noch zwei Millionen Menschen organisiere, viele Vertriebene die Restitutions- und Entschädigungsfrage gründlich satt hätten. Die überwältigende Mehrheit wolle weder Geld noch Grund und Boden, sondern erwartete überzeugende Gesten, erwarte Verständnis und Mitgefühl.

Und die Minderheit? Erika Steinbach wiederholte ihre Distanzierung von der „Preußischen Treuhand“ und deren Prozessabsichten. Von den zwei korporativen Mitgliedern der Treuhand, der schlesischen und der ostpreußischen Landsmannschaft, seien die Ostpreußen bereits ausgeschieden. Mit den schlesischen Landsmannschaftschef Pawelka, dem Motor der „Preußischen Treuhand“ gebe es für sie keine Gesprächsgrundlage mehr. Ob Frau Steinbach einen entsprechenden Diskussionsprozess bei den Landsmannschaften vorantreibe? Dies sei, so die Vorsitzende, schwierig angesichts der kompliziertem dezentralen Organisationsstruktur des Verbands. Und schließlich gäbe es auch noch jede Menge unorganisierter Vertriebener.

Aber wozu braucht es überhaupt ein Gesetz, so wurde Frau Steinbach gefragt? Reicht es nicht, wenn die Bundesregierung anlässlich möglicher Prozesse eine Art „Statement of Interest“ abgebe, ganz nach dem Vorbild der amerikanischen Regierung bei der Abweisung der Klagen der Zwangsarbeiter? Ein solches Vorgehen, entgegnete Erika Steinbach, widerspreche der gültigen Rechtslage. Gerade deshalb müsse ein neues Gesetz her.