Die Steine des Anstoßes

AUS KINSHASA DOMINIC JOHNSON

Es ist ziemlich einfach, aus der Demokratischen Republik Kongo Rohdiamanten zu schmuggeln. Man steckt die Steine ins Gepäck und nimmt nachmittags den Flieger von der zentralkongolesischen Diamantenstadt Mbuji-Mayi in die Hauptstadt Kinshasa. Nach der Ankunft am Abend haben die Büros der staatlichen Diamantenbehörde schon zu, also zieht man mit den Diamanten ins Hotel oder in eine Privatvilla. Vielleicht kommen ja abends Freunde zu Besuch. Wer sagt dann schon Nein, wenn er ein attraktives Geschäft angeboten bekommt? Am nächsten Tag ist der 15-Minuten-Trip per Fähre nach Brazzaville, die gegenüber von Kinshasa am Kongo-Fluss liegende Hauptstadt der Republik Kongo (genannt Kongo-Brazzaville), ein Kinderspiel.

Diamanten im Wert von 400 Millionen Dollar verlassen die Demokratische Republik Kongo jährlich auf diesem Weg, schätzt das Bergbauministerium in Kinshasa. Das kleine Kongo-Brazzaville ist attraktiv für Schmuggler in der ganzen Region: Seine Exportzölle sind niedriger als die der Demokratischen Republik Kongo und auch Angolas. Seine eigene Diamantenförderkapazität liegt bei 55.000 Karat im Jahr. Aber das Land exportiert jährlich drei bis fünf Millionen Karat, die es als eigene Produktion ausgibt und mit eigenen Echtheitszertifikaten ausstattet.

Jetzt ist es mit dem Schmuggel vorbei. Am Donnerstag verfügte die Regierung in Brazzaville die Einstellung sämtlicher Diamantenexporte und kündigte eine „Reorganisation“ des Sektors an. Vier Wochen vorher, am 9. Juli, war der Ankauf von Diamanten aus Kongo-Brazzaville weltweit verboten worden: Die Teilnehmer des „Kimberley-Prozesses“, der Selbstregulierungsmechanismus der internationalen Diamantenindustrie zum Kampf gegen Schmuggel, strichen das Land von der Liste der 43 Staaten, die legal Diamanten auf den Markt bringen dürfen.

Kontrolleure gelinkt

Kongo-Brazzaville hatte zuvor versucht, eine Kontrollmission der kanadischen Zentrale des Kimberley-Prozesses an der Nase herumzuführen. Auf der Suche nach Minen, aus denen die vielen als legale Exporte deklarierten Steine herkommen könnten, hatten Brazzavilles Behörden den Kontrolleuren fünf Tagebauminen aus der Luft gezeigt, in denen, wie die Zeitung La Référence Plus in Kinshasa hinterher genüsslich berichtete, „keinerlei Aktivitäten“ zu sehen waren.

Im großen Kinshasa ist nun der Jubel groß. „Wir sind sehr glücklich“, freut sich Paul Mabobia, im Bergbauministerium zuständig für den Kimberley-Prozess. Einige Monate zuvor hatte er der taz geklagt: „Wir haben Probleme mit Kongo-Brazzaville. Die müssen sich auch an die Regeln halten. Aber die Gespräche mit ihnen kommen nicht voran.“

Der Ausschluss Brazzavilles war „nötig, um die Glaubwürdigkeit des Prozesses zu wahren“, sagt Tim Martin, der kanadische Präsident des Kimberley-Prozesses. Sonst wäre die ganze komplizierte Kimberley-Prozedur – Ankauf von Rohdiamanten innerhalb des Landes nur von staatlich registrierten Händlern, Export nur nach Erteilung eines staatlichen Echtheitszertifikates für jeden einzelnen Stein, Zertifikat nur gegen nachgewiesene Steuerzahlungen – lächerlich gemacht worden.

Diamanten sind die große Hoffnung der Demokratischen Republik Kongo, eines der mineralienreichsten Länder der Welt und zugleich nach Jahrzehnten der Ausplünderung durch die eigenen Regierenden und Jahren des Krieges und Staatszerfalls eines der ärmsten. Mit 642 Millionen Dollar Einnahmen aus dem Diamantenexport 2003, dem ersten Jahr des laufenden Friedensprozesses, war der Diamantensektor die wichtigste Devisenquelle des Landes, betont Bergbauminister Eugène Diomi Ndongola, der sich dem Kampf gegen Mineralienschmuggel verschrieben hat. Das Fördervolumen von über 27 Millionen Karat war ein Rekord. 1.526 Gütesiegel unter den Regeln des Kimberley-Prozesses wurden erteilt.

Doch dem weiteren Aufschwung sind enge Grenzen gesetzt. Die industrielle Diamantenförderung – durch die mehrheitlich staatliche Miba (Mines de Bakwanga) und die während des Krieges mit simbabwischen Militärs gegründete Sengamines – ist durch Altverträge geregelt. Noch im April 2003, kurz vor der Bildung von Kongos amtierender Allparteienregierung, gewährte die scheidende Mannschaft von Präsident Joseph Kabila der israelisch-kanadischen Diamantenhandelsfirma Emaxon das Exklusivrecht auf 88 Prozent der Miba-Produktion bis 2007 mit einem Abschlag von fünf Prozent – im Gegenzug sollte Emaxon der kränkelnden Miba Investitionen im Wert von zehn Millionen Dollar finanzieren und weitere fünf Millionen als Kredit bar auf die Hand geben. Diomi Ndongala ist es bisher nicht gelungen, diesen Knebelvertrag zu ändern. Was die Produktion von Sengamines angeht, sprechen Ministerialbeamte vage von „Kriegsschulden“ gegenüber Simbabwe.

Ausbaufähig ist eher die Diamantenförderung durch Kleinschürfer, zumeist in Tagebaustellen oder Flussbetten in den Grenzregionen zu Angola. 2003 besorgten die Schürfer vier Fünftel der offiziellen Produktion. Doch gerade hier ist der Betrug am größten – und die Gelegenheit zu illegalen Geschäften auch. 700.000 Diamantenschürfer gibt es im Kongo und 100.000 Händler. Aber nur elf unter dem Kimberley-Prozess registrierte Handelsfirmen. In den Minen ist Kimberley nie angekommen.

Händler unter sich

„Die Händler kommen mit dicken Geldbündeln und sagen den Leuten: Grabt nach Diamanten; alles was ihr findet, gehört mir, aber ihr kriegt fünf Prozent vom Wert“, empört sich Paul Mabobia vom Bergbauministerium. „Die Händler“ sind Freunde lokaler Mächtiger, die auf Milizen oder Sicherheitskräfte zurückgreifen können. „Die Händler sprechen sich untereinander ab, um den Ankaufspreis niedrig zu halten“, bestätigt Martin Mbambi Njimbo, Leiter des Dachverbandes zivilgesellschaftlicher Basisgruppen aus Tshikapa, Hauptstadt von Kongos Schmuckdiamantenförderung nahe der angolanischen Grenze. In Brazzaville, fanden die Kimberley-Kontrolleure heraus, kosten die Steine aus dem Nachbarland nicht mehr als in Tshikapa selbst – rund 25 Dollar pro Karat. Das heißt: Alle Zwischenstellen, auch die staatlichen, sind ausgeschaltet.

Liegt die Antwort in mehr staatlicher Kontrolle? In Tshikapa hatte das Ende letzten Jahres katastrophale Folgen: Als die Beamten des Bergbauministeriums einzogen und ihre Kontrollen aufnahmen, sank die Menge der legal deklarierten Steine sofort um über die Hälfte. Der Rest verschwand auf neuen Umwegen.

Denn die Kongolesen trauen ihrem Staat nicht. „Aus Sicht der Leute ist der Staat jemand, der einem das Leben schwer macht und einen bescheißt“, erkennt Mabobia vom Ministerium an. „Also müsste man mit den Leuten in einer Sprache reden, die sie verstehen: Wenn der Diamant geschmuggelt wird, habt ihr weniger davon, weil irgendwo anders jemand einen besonders hohen Profit einstreicht.“

Doch der Diamantenschmuggel nutzt mächtigen Politikern – alle Mächtigen der Demokratischen Republik Kongo lebten während des Krieges vom informellen Rohstoffexport. Am häufigsten wird Jean-Pierre Bemba genannt, 1998–2003 Führer der Rebellenbewegung MLC (Kongolesische Befreiungsbewegung) und heute der mächtigste der vier Vizepräsidenten des Kongo in der seit 2003 bestehenden Allparteienregierung.

Während des Krieges beherrschte Bemba das nördliche Drittel des Kongo. Er arbeitete militärisch mit Uganda zusammen und ökonomisch mit der Zentralafrikanischen Republik, deren Hauptstadt Bangui an Kongos Nordgrenze liegt. Nach einem Militärputsch in Bangui im März 2003 wandte sich Bemba Brazzaville zu. Und als er zusammen mit den anderen Rebellen des Kongo im Sommer 2003 als Vizepräsident nach Kinshasa zog, traten seine reichen Freunde in direkte Rivalität zu Präsident Joseph Kabila, dessen Anhänger in der Hauptstadt zuvor alleine gewirtschaftet hatten.

Im Laufe der Zeit hat sich diese Rivalität verschärft, und das gab dem Schmuggel Auftrieb. Nach dem guten Exportergebnis von 2003 fielen die offiziellen Diamantenexporte der Demokratischen Republik Kongo in den ersten vier Monaten 2004 auf 54 Millionen Dollar. Das Ziel für ganz 2004 war eigentlich 800 Millionen. Nicht nur Brazzaville ist Ziel der Schmuggler. Über Südafrika nach Asien, über Kenia nach Dubai – auch diese Routen werden immer beliebter.

An all dem ändert der Ausschluss Brazzavilles aus dem Export nichts. Diomi Ndongala, der Bergbauminister, sieht Bemba denn auch als das kleinere Problem. „Ich bin der meistgehasste Minister der Regierung“, sagt er stolz. „Besonders in den Augen jener, die früher an der Macht waren.“ Gemeint ist damit Staatschef Kabila.

Mitarbeit: François Misser