Der neue Feind ist gelb

AUS BELFAST RALF SOTSCHECK

Auf Laufkundschaft kann die Kneipe nicht hoffen. Den „Empire Social Club“ in Südbelfast findet nur, wer ihn kennt. Man muss in der Empire Street gegenüber der Kirche, die längst nicht mehr benutzt wird und mit Brettern vernagelt ist, in eine schmale Gasse zwischen dem ausgebrannten Behindertenzentrum und einem Einfamilienhaus einbiegen. Am Ende stößt man auf einen Zaun, der oben mit Stacheldraht gesichert ist. Neben dem Eingang hängt eine Kamera. Wenn man klingelt, wird die Tür geöffnet – vielleicht.

Der Club ist überraschend groß, er hat keine Fenster, die schummrigen Lampen beleuchten schmale Resopaltische, schwarze Hocker und einen geblümten Teppich, auf dem man Asche und verschüttete Getränke nicht sieht. Im Hinterzimmer steht ein Billardtisch. Chris ist 21, der „Empire Social Club“ ist seine Stammkneipe, weil das Bier billiger ist als in den Pubs in der City, die zu Fuß keine zehn Minuten entfernt ist.

Chris ist aufgewachsen im Village, wie das Viertel um die Empire Street heißt. Es ist eine andere Welt. Die Bürgersteige sind in den britischen Farben Rot-Weiß-Blau angestrichen, die Gegend ist protestantisch. Hier regiert die loyalistische Ulster Defence Association, die loyal zur britischen Krone steht und einen Anschluss Nordirlands an die Republik Irland bekämpft – und natürlich die Katholiken, wenngleich nicht mehr so gewalttätig wie früher.

„Ich lebe gerne im Village, weil es weit genug weg ist vom nächsten katholischen Viertel“, sagt Chris. Er ist Landschaftsgärtner und hat sich gerade mit seiner 20-jährigen Freundin verlobt. Er trägt schmuddelige Jeans, eine Baseballmütze und eine blaue Jacke mit rotem Kragen – seine Arbeitskleidung. „Vor Jahren kannte man alle Nachbarn. Inzwischen sind viele weggezogen, eine Menge Häuser ist heruntergekommen und unbewohnbar“, erzählt er. Dass die Wohnungsbehörde das ganze Village abreißen wolle, um neue Häuser zu bauen und dass sich in der Zwischenzeit viele chinesische Familien hier angesiedelt hätten, erzählt er auch.

Chris hat nichts gegen die Chinesen, beteuert er. Niemand hat hier etwas gegen Chinesen, wenn man fragt – weder die Jugendlichen noch die Alteingesessenen noch die Angehörigen der paramilitärischen Organisationen. Aber irgendjemand will die Immigranten aus dem Village vertreiben. In Nordirland wurden in den vergangenen zwölf Monaten 30 Familien von Einwanderern gewaltsam aus ihren Häusern gejagt, die meisten hatten im Village gewohnt.

Steinhagel und Rohrbomben

Der Terror im Village begann im Juli 2003. Die Häuser von drei südafrikanische Familien wurden mit Rohrbomben angegriffen, das Auto eines Schwarzafrikaners wurde angezündet, eine Frau aus Uganda erlitt durch einen Steinhagel Verletzungen und durch das Fenster eines pakistanischen Hauses flog eine sechs Fuß lange Planke. Dann, fünf Tage vor Weihnachten, brachen zwei Männer ins Haus von Hua Long und seiner hochschwangeren Frau Yin Mei ein und schlugen Long mit einem Ziegelstein nieder. Er erlitt einen schweren Schädelbruch, die Familie lebt jetzt in einer Pension in einem Vorort.

Allein in den ersten sechs Wochen des Jahres registrierte die nordirische Polizei 320 rassistisch motivierte Überfälle. Vor dem Karfreitagsabkommen von 1998, das den relativen Frieden zwischen Protestanten und Katholiken sichert, gab es nur eine Hand voll solcher Taten. Vor dem Karfreitagsabkommen gab es allerdings auch fast keine Ausländer in Belfast. Bis vor drei Jahren war Nordirland noch zu 99 Prozent weiß.

Esmond Birnie meint, es liegt an der wirtschaftlichen Situation der Einheimischen. Er ist der für Südbelfast und das Village zuständige Abgeordnete des Belfaster Regionalparlaments. Birnie gehört der Unionistischen Partei an, die bei den letzten Wahlen ihre Führungsposition an die radikalere Democratic Unionist Party des demagogischen Pfarrers Ian Paisley abgeben musste. Aber Parlament und Regierung sind ohnehin suspendiert worden, Nordirland wird wieder direkt regiert.

Birnie sitzt dennoch in seinem Büro in Stormont Castle, dem Sitz der Regionalregierung. Und schimpft. „Die Leute im Village sind marginalisiert“, sagt er. „Sie gehen früh von der Schule ab, bekommen keine Jobs und werden häufiger krank. Im Village sind 10 oder sogar 20 Prozent arbeitslos, der Durchschnitt für Nordirland liegt nur bei fünf.“ Birnie ist 39. Er trägt eine graue Lederjacke und eine mit römischen Kirchen bedruckte Krawatte. Seine schütteren blonden Haare hat er tief gescheitelt, um die beginnende Glatze zu verdecken. „Die Einheimischen suchen einen Sündenbock“, sagt er. „Während des Nordirlandkonflikts ist das Übel umgeleitet worden, jetzt macht es sich gegen die Immigranten Luft.“

Die paramilitärischen Organisationen behaupten, dass sie mit den rassistischen Angriffen nichts zu tun haben. Birnie glaubt, dass junge Mitglieder dahinter stecken, auch wenn das von der Führung vielleicht nicht abgesegnet ist. Er relativiert das Problem jedoch. „Niemand weiß, ob der Rassismus hier schlimmer ist als in London, Paris oder Berlin“, sagt er. „Es ist längst nicht bewiesen, dass wir die Hauptstadt des Rassenhasses in Europa sind.“ Und dann sagt er noch, dass der Rassismus sich ja nicht auf das Village beschränke, in den katholischen Vierteln gebe es genauso viele Übergriffe.

Zu viele Chinesen

Sicher, auch auf der katholischen Falls Road, wo das Royal Victoria Hospital liegt, sind philippinische Krankenschwestern verbal attackiert worden, doch die Statistik ist deutlich. „In den katholischen Vierteln gab es in diesem Jahr bisher sechs Zwischenfälle“, sagt Leish Cox. „In den protestantischen Vierteln waren es mehr als hundert.“ Die 26-Jährige, deren blasse Hautfarbe durch die langen, roten Haare noch betont wird, arbeitet beim Chinesischen Wohlfahrtsverband, der sein Büro in der University Street im Univiertel hat, wo die typischen Backsteinhäuser stehen.

„Die ersten Einwanderer aus China kamen Anfang der Sechzigerjahre nach Nordirland“, sagt Cox. „Heute leben etwa 8.000 hier, das sind 51 Prozent aller Immigranten. Die meisten, rund 90 Prozent, arbeiten im Gaststättengewerbe. Wegen der langen Arbeitszeiten haben sie es schwer, sich zu integrieren, viele sprechen kaum Englisch.“

Jimmy ist einer von ihnen. Er ist 80 Jahre alt, stammt aus Hongkong, lebt seit 40 Jahren in Belfast und schaut fast täglich beim Wohlfahrtsverband rein. Er ist Rentner. Früher war er einmal Tänzer in Birmingham, dann nahm er einen Job in einem Chinarestaurant in Belfast an, jetzt ist er auf Rente. „Es gibt viel zu viele Chinesen in dieser Stadt“, sagt er in schwer verständlichem Englisch. Dann lacht er laut und so, dass man die Zahnruinen in seinem Mund sieht.

„Jimmy ist ein Original“, sagt Cox, „alle in der Gegend kennen ihn.“ Er hat noch nie Erfahrungen mit Rassisten gemacht, jedenfalls gibt er es nicht zu. Doch seit dem Waffenstillstand der paramilitärischen Organisationen von 1996 hat sich die Zahl rassistisch motivierter Übergriffe fast verfünffacht. „Das ist schlimm genug, doch es ist nur die Spitze des Eisbergs“, meint Cox. Das Problem sei, dass sich die Opfer oft nicht trauten, Anzeige zu erstatten, sie hätten Angst, darüber zu sprechen. „Die Elemente in der nordirischen Gesellschaft, die sich früher gegenseitig gehasst haben, hassen nun die Minderheiten. Dabei sind lediglich 0,85 Prozent der nordirischen Bevölkerung Immigranten“, sagt Cox.

Schädlicher als die IRA

Doch gegen die wird heftig Stimmung gemacht. Die britischen Gesetze zum Schutz von Minderheiten gelten in Nordirland nicht, das Belfaster Parlament hat sie nie ratifiziert. So kursieren hier Flugblätter, deren Urheber in anderen Teilen des Vereinigten Königreichs streng bestraft würden. Leish Cox liest aus einem vor, das im Donegall Pass, einem protestantischen Viertel östlich des Village, verteilt wurde: „Die Zuwanderung der gelben Menschen nach Donegall Pass hat mehr Schaden angerichtet als die IRA in den vergangenen 35 Jahren. Wir müssen zurückschlagen, bevor es zu spät ist. Wir müssen diese chinesischen Immigranten vertreiben und den Weg für protestantische Familien frei machen.“ Im Flugblatt wird behauptet, der Donegall Pass sei übersät von Chinarestaurants, asiatischen Läden, chinesischen Reisebüros und Buchmachern. In Wirklichkeit seien nur 14 Haushalte chinesisch, sagt Cox, das sind gerade mal 4 Prozent.

Eins der Restaurants heißt „The Water Margin“ und liegt am östlichen Ende des Donegall Pass. Das Gebäude war früher eine Kirche, der Speisesaal ist entsprechend geräumig. Mittags zum Lunch ist das Restaurant gut besucht, obwohl es nicht sonderlich preiswert ist. Die Besitzer sowie die Kellner sind Einwanderer der zweiten Generation, sie sprechen mit hartem Belfaster Akzent. Die chinesischen Gäste sitzen zusammen in einer Ecke des Restaurants. Erfahrungen mit Rassismus hat angeblich niemand von ihnen gemacht, sie tun so, als hörten sie das Wort zum ersten Mal.

Doch draußen, nur wenige Meter neben dem Restaurant, sind die Wände voller Graffiti: „Unsere Straße muss weiß bleiben“, daneben „National Front“ und „KKK“ für den Ku-Klux-Klan. „Rassistische Organisationen aus England versuchen, die Situation auszunutzen und hier Fuß zu fassen“, sagt der Abgeordnete Esmond Birnie. „Die einheimischen Jugendlichen können es sich nicht leisten, Häuser zu mieten. Sie sehen, dass chinesische Familien einziehen und sind sauer.“ Der Immobilienmakler William Faulkner ist von Rassisten davor gewarnt worden, Häuser an Immigranten zu vermitteln, sein Büro wurde mit Brandbomben angegriffen.

Auch das Village, das Viertel von Chris, ist übersät mit Wandsprüchen neofaschistischer Organisationen. Auf den leer stehenden Häusern in der Empire Street, deren Fenster mit Holzplatten versperrt sind, stehen neben Hakenkreuzen Parolen wie „Chinesen raus“ und „Combat 18“, wobei die Zahl für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets steht: AH – Adolf Hitler.

Im „Empire Social Club“ stört sich niemand daran. Sechs ältere Männer sitzen unter einem Fernseher, der hoch oben in der Wandecke hängt. Es läuft MTV, eigentlich das falsche Programm für diese Altersgruppe, doch auch das kümmert keinen. Gordon ist 66, er hat dichte, graue Haare und trägt trotz des milden Wetters Pullover und eine Jacke. „Die IRA“, sagt er, „hat seit dem Waffenstillstand alle Forderungen durchgesetzt. Das ist unser Problem. Die Chinesen? Die sind überhaupt kein Problem.“