Was uns der Doktor wert ist (III)

„In Deutschland war ich ein Blutentnahme-Sklave mit 36-Stunden-Diensten“

Das Herz, le coeur, il cuore – Daniel Sürder liegen die Herzen anderer am Herzen. Der 31-Jährige mit dem Bärtchen an der Unterlippe machte seine Doktorarbeit am Deutschen Herzzentrum in Berlin, über Genregulation bei Herzrezeptoren. Die Bedingungen dort beschreibt er als „sehr gut“. Trotzdem hängt sein Herz nicht an Berlin. Der gebürtige Oden- thaler hat nach seiner Tätigkeit als Arzt im Praktikum im Oktober 2001 Deutschland den Rücken gekehrt. Daniel Sürder jammert nicht. Nüchtern und wohl überlegt zählt er die Gründe auf, warum er lieber im Ausland Patienten mit Infarkten, koronaren Insuffizienzen und Herzrhythmusstörungen behandelt. „In Deutschland ist man ein Blutentnahmesklave. Die Ausbildung muss man sich erkämpfen und manchmal schleimen, es herrschen zum Teil preußische Hierarchien.“

Schon während des Grundstudiums bemerkte Sürder große Unterschiede in der Ausbildung. In Frankreich, wo er sein viertes Studienjahr absolvierte, bekam er viel schneller und einfacher Patientenkontakt als in Deutschland. „Das praktische Arbeiten steht dort im Vordergrund“, lobt er. Das hat ihm so gut gefallen, dass er auch den chirurgischen Teil seines praktischen Jahres in Frankreich machte.

Für die Innere Medizin ging er in die Schweiz. Dort fand er gute Ausbildungskonditionen und einen finanziellen Anreiz: „In der Schweiz wird man im sechsten Jahr schon bezahlt, in Deutschland nicht.“ Gern hätte er weiter im Ausland gearbeitet. Aber weil er nicht sofort eine Stelle gefunden hat, ging er „den Weg des geringsten Widerstandes“ und kehrte zurück ans Herzzentrum Berlin. Wieder nur für begrenzte Zeit. Es gab „keinen direkten Ausbildungsfahrplan“, dafür „schlauchende“ 36-Stunden-Dienste, und die Hierarchien waren „sehr starr“. Er vermisste „die Bringschuld des Arbeitgebers“, wie er sie in Frankreich und der Schweiz kennen gelernt hatte. „Dort hat die Lehre einen höheren Stellenwert“, lautet sein Fazit.

Nach Beendigung des praktischen Jahres bewarb sich Sürder an etwa 30 Kliniken in Deutschland, nur von einer bekam er Antwort. So beschloss er, erneut sein Glück im Ausland zu versuchen. In einem beschaulichen Ort in der Schweiz, an der Grenze zwischen der Deutsch- und der Westschweiz, fand er eine Stelle in einem kleinen Spital. „Ehe ich in Deutschland in die Provinz gehe, gehe ich im Ausland in die Provinz.“ Am idyllischen Murnausee konnte er seine Echokardiographieausbildung machen, die ihm in Berlin verwehrt worden war. Die Arbeitszeiten waren geregelter, die Grundbezahlung besser, die Ausbildung kompetent und persönlich, das Verhältnis zum Chef freundschaftlich.

Anfangs suchte er noch von der Schweiz aus nach Stellen in Berlin. Doch je länger er blieb, umso weniger Lust hatte er dazu. Mit Hilfe seines Schweizer Chefs fand er eine Kardiologiestelle für zwei Jahre im Cardiocentro Ticino, in Lugano im Tessin. So wurde Anfang dieses Jahres aus Doktor Sürder „il dottore“. Dass er so gut wie kein Italienisch sprach, war kein wirkliches Problem. Mit dem Personalchef, der Oberärztin und dem leitenden Arzt verständigt er sich auf französisch. In seiner Freizeit hat er sich mit Hilfe von Büchern und CDs die wichtigsten Vokabeln selbst beigebracht, mittlerweile ist sein Italienisch ganz passabel.

Nach einem Dreivierteljahr in Lugano hat Sürder jetzt „eine gute Position“ in der Klinik. Was nach Ablauf des Zweijahresvertrages kommt, ist offen. Ob er jemals wieder nach Deutschland zurückgeht? Nüchtern sagt er: „Bei einer Niederlassung, wo auch immer, geht es um handfeste finanzielle Interessen.“ Auf eine Frage, die er sich immer wieder stellt, findet er nur schwer eine Antwort: „Warum fange ich immer wieder an, statt sesshaft zu werden?“ In jeder Klinik muss er sich neu bewähren, das Vertrauen der Kollegen gewinnen und zeigen, was er kann. „Vielleicht, weil ich immer wieder nach Hause zu meiner Familie und zu meinen Freunden könnte.“BARBARA BOLLWAHN