Verschwistert mit al-Qaida

Die islamistische Terrorgruppe Jemaah Islamiyah hat Fuß gefasst in Südostasien. Ihre Führer wurden in Afghanistan trainiert. An Nachwuchs fehlt es nicht

aus Singapur NICOLA GLASS

„Ich bin nicht der Führer der Jemaah Islamiyah, ich habe nie gewusst, was die JI eigentlich tut.“ Diese Verteidigungsrede hatte der indonesische Geistliche Abu Bakar Bashir vor knapp zwei Wochen verlesen. Seine Richter in der indonesischen Hauptstadt Jakarta sahen das ähnlich: Gestern wurde der Kleriker zu vier Jahren Haft verurteilt – allerdings nur wegen Beteiligung an Landesverrat. Es sei nicht bewiesen, dass er ein Anführer von Jeemah Islamyia (JI) sei, befanden die Richter (siehe Text unten).

Trotz seiner eigenen Behauptung und dem Richterspruch halten Experten Bashir für den spirituellen Führer der islamistischen Terrororganisation. Die Gruppe will in Südostasien einen islamischen Staat errichten, der Indonesien, Malaysia, Singapur, die Südphilippinen, Brunei und Südthailand umfassen soll. Die in Brüssel ansässige International Crisis Group (ICG), die mit renommierten Analysen Politikberatung macht, vom ehemaligen australischen Außenminister Gareth Evans geleitet wird und zahlreiche Elder Statesmen in ihren Reihen zählt, hat gerade einen neuen Bericht über JI veröffentlicht. Durch die Verhaftungen im Fall Bali und die Festnahme des indonesischen Topterroristen Riduan Isamuddin alias Hambali Mitte August in Thailand sei die Organisation zwar angeschlagen, aber keineswegs zerstört, lautet das Fazit.

Die Leiterin des Crisis-Group-Büros in Jakarta und Autorin des Berichts, Sidney Jones, geht zudem davon aus, dass die JI wesentlich mehr Mitglieder hat als nur einige hundert: „Ich denke heute, dass wir es mit mehreren tausend zu tun haben, und die haben sich Fähigkeiten erworben, um weiterzumachen, auch wenn einige der Spitzenleute festgenommen wurden.“

Mehr als 200 mutmaßliche Mitglieder der JI sind inzwischen verhaftet und verhört worden. Sie sitzen in Indonesien, Malaysia, Singapur und den Philippinen hinter Gittern. Doch laut ICG habe JI „eine territoriale Kommandostruktur“ aufgebaut. Alle führenden Köpfe wurden ab 1985 in afghanischen Militärcamps trainiert, sieben Jahre, bevor sich die JI formell gründete. Die Crisis Group spricht in diesem Zusammenhang von der „Institutionalisierung eines Netzwerkes, das längst existierte“. In den Camps des von den Saudis finanzierten afghanischen Mudschaheddin-Führers Abdul Rasul Sajjaf wurden sie indoktriniert mit der Ideologie des Dschihad, der dort als „heiliger Krieg“ gegen den Westen definiert wurde. Dort entstanden auch erste Kontakte zu Ussama Bin Ladens al-Qaida. Diese Verbindungen soll der neben Abu Bakar Bashir als JI-Mitbegründer benannte Abdullah Sungkar Mitte der 90er-Jahre fest verankert haben.

Der spätere Operationschef Hambali war somit nicht das einzige Bindeglied zwischen JI und al-Qaida. Auch der militärische Operationschef Zulkarnaen alias Aris Sumarsono sowie der im Juli 2003 aus einem philippinischen Gefängnis ausgebrochene Fathur Rahman al-Ghozi hatten ähnliche Kontakte. Jene Afghanistan-Veteranen waren es auch, die in den Südphilippinen zwischen 1996 und 2000 im Hauptquartier der dortigen muslimischen Separatistenguerilla Moro Islamic Liberation Front (Milf) eine neue Generation von Kämpfern trainierten. Die Rekruten stammten auch von anderen radikalen Gruppen in Indonesien, vornehmlich aus Südsulawesi und Westjava. Indonesien müsse deshalb Anschläge weiterer militanter Organisationen befürchten.

Laut Crisis Group wird das JI-Netzwerk auch durch arrangierte Heiraten aufrechterhalten. Führende Köpfe der Jemaah Islamiyah hätten Hochzeiten ihrer Schwestern und Schwägerinnen mit Untergebenen eingefädelt. Zum Umkreis des Terrornetzwerkes gehörten pesantren, traditionelle Koranschulen (siehe hierzu ausführlich taz vom 30. 10. 2002), die sich einem militanten Dschihad verschrieben haben. Diese machten in Indonesien mit seinen rund 14.000 Pesantren zwar nur einen Bruchteil aus, gelten aber als Kaderschmieden für den Nachwuchs, allen voran das Pondok Ngruki in Solo (Zentraljava), dessen Gründer 1971 die JI-Gründer Abdullar Sungakr und und Abu Bakar Bashir waren.

Die Mehrheit der überwiegend moderat eingestellten Muslime Indonesiens sympathisiert nicht mit den militanten Kämpfern. Offene Proteste gegen den Terrorismus gebe es aber auch nicht, bedauert der Soziologe Syed Farid Alatas von der Nationalen Universität in Singapur: „Die Terroristen oder die potenziellen Terroristen sollten zu spüren bekommen, dass sie in der Minderheit sind und dass es keine Sympathien für sie gibt. Sie sollten starken Druck bekommen. Es sollte einen psychologischen Terror gegen die Terroristen geben.“

Gleichzeitig beobachten Experten vorrangig in Indonesien ein Anwachsen des politischen Islams, ein Trend, der nicht zwangsläufig in militante Aktionen mündet. Gläubige Muslime, vor allem US-kritische Indonesier, fühlen sich jedoch zunehmend von Globalisierung und westlichem Machtanspruch dominiert. „Der Irakkrieg hat mit dafür gesorgt, die Idee des Dschihad zu intensivieren, ebenso wie der Nahostkonflikt“, sagt Jones. Dabei stammten Terroristen selbst oft nicht einmal aus armen oder unterprivilegierten Familien, erklärt Alatas. Doch wenn sie ihre Umgebung und die Armut wahrnähmen, seien sie davon überzeugt, dass ihre Aktionen richtig seien. Eine Organisation wie Jemaah Islamiyah werde es demnach nicht allzu schwer haben, neue Leute zu rekrutieren. Die Verhaftung Hambalis dürfte deshalb nur eine kurzzeitige Lücke gerissen haben.

Sie könnte der malaysische Wissenschaftler und Bombenbauer Azahari bin Husin gefüllt haben. Nach Ansicht mancher Experten hält er jetzt als JI-Operationschef in Südostasien die Fäden in der Hand. Azahari, den Indonesiens Polizei erst kürzlich als Hauptverdächtigen hinter dem „Marriott“-Anschlag ausmachte, wäre eine ungewöhnliche Wahl, meint dagegen Sidney Jones. Sie geht davon aus, dass es innerhalb der JI mindestens neun bis zehn potenzielle Anwärter auf Hambalis Position gibt.

Von der indonesischen Regierung fordert die Crisis-Group-Expertin, Jemaah Islamiyah öffentlich als die für die Bali-Attentate verantwortliche Terrororganisation zu benennen und mit ihr in Verbindung stehende Koranschulen sorgfältiger unter die Lupe zu nehmen. Die wuchernde Korruption in Indonesien ermögliche es zudem jedem, illegal an Pässe, Waffen und Sprengstoff zu kommen. Nicht zuletzt sei die Unterstützung der USA gefordert, um Hambali auszuliefern und in seinem Heimatland vor Gericht stellen zu können. Die Gerichtsverhandungen in Indonesien sind zugebenermaßen Schauprozesse. Aber sie könnten auch US-kritische Muslime überzeugen, dass das Terrorproblem hausgemacht ist.