berliner szenen Einsame Kundschaft

Ignorante Verkäufer

Dass der Kern der sogenannten Dienstleistungsgesellschaft darin besteht, selbstverständliche Serviceleistungen an Kunden auszulagern, um Personal einzusparen – daran haben sich viele längst gewöhnt. Sie buchen geduldig Bahnfahrkarten im Internet, bauen stundenlang zu Hause Ikea-Schränke zusammen oder hängen in der Warteschleife von Firmen und Behörden.

Aber selbst in Läden, in denen das Personal nicht komplett wegrationalisiert werden kann, weil sonst die Kundschaft das Geschäft leer räumt, ist von Dienstleistungsqualität nichts zu spüren: zu wenig Personal, schlecht bezahlt und deshalb demotiviert.

Neulich in einem Szene-Schuhgeschäft an der Gedächtniskirche: Ich hatte nicht viel Zeit, wollte praktische, haltbare und bezahlbare Schuhe kaufen – und war von der idiotisch riesigen Auswahl erschlagen. Nach längerem Suchen fand ich einen Verkäufer, den ich um Rat bat. „Hey Alter, was geht? Kommste nachher vorbei?“, brabbelte er in sein Handy, das zwischen Schulter und Hals klemmte. Gleichzeitig holte er eine Schuhkiste aus einem Regal, die er mir in die Hand drückte. Das Paar war zu groß, und ich musste noch eine Weile mit dem telefonierenden Verkäufer kommunizieren, bis ich passende Schuhe hatte.

Ein paar Tage später wollte ich in einem Kreuzberger Kopierladen 200 Seiten von einer DIN-A4-Vorlage machen lassen. Da ich bei dieser Menge keine Fehler machen wollte, bat ich einen Angestellten um Hilfe. „Schatz, sehen wir uns später?“, hauchte er in sein Handy, mir nebenbei etwas zunuschelnd. Knapp zehn Minuten später hatte er den Kopierer eingestellt, während er weiter mit seiner Freundin telefonierte. Eine Oase der Herzlichkeit inmitten der Servicewüste Berlin. RICHARD ROTHER