Gottes Segen, Fan- und Feinabstimmung

Mit dem neuen Trainer Dieter Hecking, 13 neuen Spielern und einer mannschaftlich geschlossenen Essensregel geht Alemannia Aachen in die neue Saison. Zum Auftakt kommt heute Abend Funkels Eintracht aus Frankfurt in den Tivoli

AACHEN taz ■ Plötzlich wird es laut auf dem Trainingsplatz. Ein halbes Dutzend Spieler in Fankluft und Adiletten stürmt den glutheißen Rasen, singend und Fahnen schwenkend. Erik Meijer, der ewige Spaßvogel, holländert dazu Kommandos, mit einem Pylonhütchen als Megaphon: „Oddset-Büro Aachen. Es können noch Wetten abgegeben werden.“ Gemeint sind die sieben Alemannen, die gerade das ewige 5 gegen 2 spielen, nur Direktspiel, auf engem Raum. Der neue Cheftrainer Dieter Hecking (vorher Lübeck) ist mittendrin und fix dabei. Alle lästern, spotten – und zählen. Bei 33 Ballkontakten steht schließlich die Bestmarke; der quicke Coach war bei den Siegern.

13 neue Leute sind am Tivoli. Da braucht es Zeit. Hecking, 39, sagt: „Nach gut vier Wochen müssen wir uns noch gegenseitig kennen lernen. Richtig finden kann sich die Mannschaft erst im Laufe der Saison.“ Feinabstimmung fehlt auch Zaungästen. Die üben die Zuordnung von Namen, Nummern und Gesichtern: „Das ist der Scharping“, sagt einer, „nee, der andere Neue, Stehle, oder wie heißt der?“ Doch Thomas Hengen? Plasshenrich?

Hecking ist ein freundlicher Mann, mit blauen Husky-Augen, die warm gucken können und auch Gift versprühen. Und einer, der weiß was er sagt und was er lässt. Offen gibt er zu, dass er die genaue Stärke der Elf noch nicht konkret einschätzen kann. „Geschlossenheit kann unsere Stärke werden.“ Hecking duzt seine Spieler, lässt sich aber siezen und mit Trainer anreden. Er hatte in Lübeck zu wenig Distanz zum Personal gehalten, wie er einräumt. Abwehrchef Alexander Klitzpera sagt, es gebe „mehr Taktik“. Und was war besser bei Vorgänger Jörg Berger? „Klitze“ überlegt einen kleinen Moment und gibt einen nur vordergründig schmeichelhaften Vergleich: „Der Erfolg.“ Florian Bruns findet den neuen Coach „angenehm und streng zugleich“. Der neue Kapitän Erik Meijer hat festgestellt, dass es „beim Training jetzt geregelter“ zugehe.

Nicht nur da. Ein Hecking-Ukas lautet: Beim gemeinschaftlichen Essen steht keiner auf, bevor nicht alle fertig sind. Was so gestrig nach Schullandheim klingt, ist für Hecking „ein Mittel gemeinschaftlicher Kommunikation“, das er mit „einer intakten Familie“ vergleicht. Hecking hat fünf Kinder. „Ich bin ein Familienmensch. Eine Fußballmannschaft ist in vielem gleichgeartet.“ Aber bitte: „Ich sehe die Spieler nicht als meine Kinder an.“ Das Personal sei zudem immer zu Kritik aufgefordert: „Aber der Trainer nimmt nicht unbedingt alles an, da die Spieler auch Eigeninteressen verfolgen.“

Stark in den Tests war der ehemalige Kölner Moses Sichone. Den Trainer in der Vorbereitung überzeugt hat der Ex-Bremer Simon Rolfes, auch wenn dessen technische Brillanz etwa beim Fußballtennis einen nicht eben erblinden lässt. Bei der Fan-Wahl ganz oben: Sergio Pinto mit fast 30 Prozent als „bester Neuzugang“. Pinto will aufsteigen: „Es müsste schon viel schief gehen, damit es nicht klappt. Hier sind die Spieler locker. Bei Schalke war die Stimmung immer gedrückt.“

Vorne hat Chris Iwelumo viel Kredit – ein „halbnigerianischer“ Brecher aus Schottland. Voluminöse Kicker haben in Aachen Tradition: In den 60er Jahren wütete sich Yogi Ferdinand durch die Torräume und klemmte dabei den Ball schon mal zwischen die Füße. Später kam der legendäre Zweimeter- Zweizentner-Zweitligabriegel Günter Delzepich, der angeblich zeitlebends nie einen Pressschlag verlor und einmal einen Fotografen fast k.o. schoss.

Alemannia hat seit dem Pokalfinale an drei Fronten gelernt: Plastiksitze auf Holzstreben können fies brennen, also musste die gesamte Sitztribüne, erst drei Jahre alt, wieder neu bestuhlt werden. Den Antrag, Europapokal auf dem Tivoli mit Campingstühlen zu spielen, hat die Uefa abgelehnt; jetzt geht‘s im September nach Köln. Und: Eine 99 als Rückennummer mag im Eishockey bei Wayne Gretzky Sinn machen, für Chris Iwelumo hat sie der gestrenge DFB untersagt: Nummern müssen fortlaufend sein! Es gab zwei Alternativen: 72 neue Spieler für die Nummernlücken verpflichten oder die bedruckten Trikots für einen guten Zweck versteigern. Alemannia wählte Variante zwei.

Alemannia rechnet heute Abend gegen Frankfurt mit einem feuchten Platz (von einem bischofsstädtischen Pfarrer frisch eingesegnet) und 20.000 Zuschauern, der Trainer beim Gegner „mit dem Funkelschen System“ aus Disziplin und kontrollierter Defensive. Hecking (“Ich spüre schon das Fieber in der Stadt“) gibt den Optimisten: „Ich glaube, dass wir gleich ein Ausrufezeichen setzen.“

BERN MÜLLENDER