Nächtliche Ausgangssperre für Asylbewerber

Insassen des Flüchtlingsheims im niederösterreichischen Traiskirchen sollen Unterkunft nachts nicht mehr verlassen dürfen. Grund ist ein Handtaschendiebstahl. Humanitäre Organisationen kritisieren menschenunwürdige Zustände

WIEN taz ■ Nächtliche Haft für Asylbewerber. So wollen sich die Traiskirchner gegen Belästigungen schützen. Die Gemeinde Traiskirchen bei Wien, die das größte Flüchtlingslager des Landes beherbergt, ist in Aufruhr. Donnerstagabend verabschiedete der Gemeinderat nach einer turbulenten Sondersitzung eine Resolution, in der mehr Gendarmeriepräsenz gefordert wird.

Den rund 13.000 Einwohnern der Kleinstadt stehen fast 1.700 Lagerinsassen aus Afghanistan, Irak, Tschetschenien, Nigeria und anderen Ländern gegenüber. Deren Anzahl soll auf 300 heruntergefahren werden. Außerdem will man den Asylbewerbern ein nächtliches Ausgangsverbot verordnen.

Anlass für die Aufregung in der niederösterreichischen Kleinstadt war ein Raub auf offener Straße. Ein Nigerianer entriss vorvergangenes Wochenende einer Frau die Handtasche. Zwar wurde er schnell gefasst, doch Bürgermeister Franz Knotzer, SPÖ, sah sich erneut unter Druck. Er trommelte den Gemeinderat zusammen, um vom Innenministerium schnelles Handeln zu fordern.

Von kriminellen „Negern“ war da die Rede und von „Gutmenschen“, die die Augen verschlössen. Die Resolution wurde mit großer Mehrheit verabschiedet. Einzig der Polizeioffizier Ernst Vitek stimmte als grüner Gemeinderat gegen den Brief an den Innenminister, der zur Unterstützung durch die Bevölkerung ausgelegt wurde. Mehr als 600 Unterschriften wurden am ersten Tag geleistet.

Vitek wies darauf hin, dass eine Ausgangssperre gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstoße. Der SPÖ warf er vor, die FPÖ rechts überholen zu wollen. „Ich bin froh, dass du Oberst der Polizei in Wien bist und nicht hier. Da müssten wir uns noch mehr Sorgen um unsere Sicherheit machen“, herrschte ihn Bürgermeister Knotzer an.

Die rote Gemeinde fühlt sich vom schwarzen Innenminister im Stich gelassen. Ernst Strasser hatte versprochen, dass das neue Asylgesetz, das beschleunigte Abschiebung erlaubt, Entspannung bringen werde. Es trat am 1. Mai in Kraft und verpflichtet alle Bundesländer, eine gewisse Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen. Die Kosten werden nach dem Schlüssel 60:40 zwischen Bund und Ländern geteilt. Außerdem wurden so genannte Erstaufnahmezentren eingerichtet, wo binnen drei Wochen zu klären ist, ob eine Person Anspruch auf Asyl hat oder nicht.

Das Lager Traiskirchen ist jetzt ein solches Erstaufnahmezentrum. An den nach Ansicht von humanitären Organisationen menschenunwürdigen Zuständen hat sich nichts geändert. Noch immer warten über 300 Flüchtlinge auf Erledigung ihrer Anträge. Weitere 700 haben das Erstaufnahmeverfahren hinter sich und sollten längst woanders untergekommen sein.

Doch das von Innenminister Strasser, ÖVP, gepriesene System funktioniert nicht. Die meisten Bundesländer sind säumig. Sie haben bis jetzt nicht genügend passende Unterkünfte angeboten. Das Lager Traiskirchen ist seit Jahren überfüllt. Asylwerber müssen oft Jahre warten, bis über ihren Antrag entschieden wird. Während dieser Zeit dürfen sie keine Arbeit suchen.

Aggressionen zwischen verfeindeten ethnischen Gruppen entladen sich immer wieder in Gewaltakten. 2003 starb ein Tschetschene bei einer Schlägerei mit Moldawiern. Die nigerianische Drogenmafia sucht und findet im Lager Afrikaner, die sich für alles hergeben. Verstärkte Drogenfahndung und Videoüberwachung am Lagerzaun führten zwar zur Festnahme einiger Dealer, doch das Problem der inadäquaten Flüchtlingsbetreuung bleibt ungelöst. Auch die „Betreuungseinrichtungsbetretungsverordnung“, die festlegt, dass das Lager nur durch das Haupttor zugänglich ist, hat wenig zur Entspannung beigetragen. RALF LEONHARD