Nicht nur Kinderkeller auf der Kippe

Der Landesjugendring prophezeit, dass bis 2005 die Hälfte der 450 Jugendfreizeiteinrichtungen dichtmacht. Weil das Land die Mittel kürzt, leiden besonders die präventive Arbeit mit Kids und der simple Cliquentreff. Viele Helfer sind frustriert

von STEFFEN BECKER

Kippt der Kiez oder kippt er nicht? Marina Bikádi hilft weiter mit, dass er nicht kippt – obwohl der Bezirk ihr Gehalt gekippt hat. Bikádi leitet den Kinderkeller in Marzahn, eine Einrichtung des Kinderrings Berlin, seit Anfang des Jahres ehrenamtlich. Senat und Bezirke strichen die Zuwendungen. Zurzeit betreibt der Verein noch acht Projekte in der Kinder- und Jugendarbeit. Ein Buchladen und das Kinomobil, das etwa an Schulen Filme mit pädagogischem Hintergrund zeigte, mussten bereits schließen.

Kein Einzelfall – heimlich, still und leise werden den Trägern der Kinder- und Jugendarbeit Gelder entzogen. „Im Bereich der landesweiten Förderung haben die Jugendverbände in den letzten fünf Jahren rund 30 Prozent der Mittel eingebüßt“, sagt Heiko Kleyböcker. Er ist Vorsitzender des Landesjugendrings, der 31 dieser Verbände unter seinem Dach vereint. Von den Pfadfindern, den Jungen Briefmarkenfreunden, der Sportjugend über die konfessionellen Verbände bis zur Jungen Linken. 60.000 junge Menschen sind in diesen Organisationen ehrenamtlich aktiv, organisieren Fahrten, bringen Jüngeren das Kicken bei, betreiben Jugendclubs etc. Die Bereitschaft, sich zu engagieren, sei vorhanden, die Strukturen, in denen das möglich ist, erodierten jedoch, sagt Kleyböcker. Der Landesjugendring rechnet damit, dass 2004/2005 wahrscheinlich die Hälfte der etwa 450 Berliner Jugendfreizeiteinrichtungen schließen muss. So wollen die Bezirke ihre Freizeiteinrichtungen verstärkt an freie Träger abgeben.

Tempelhof-Schönberg etwa will so die Zahl seiner Kinder- und Jugendclubs von 19 auf 11 senken. „Mitarbeiter gehen den Ruhestand, gleichzeitig dürfen wir niemand einstellen. Wir haben daher zu wenig Personal, um diese Angebote angemessen betreiben zu können“, begründet Jugendstadträtin Angelika Schöttler die Pläne. Ob freie Träger die Lücke füllen können? Außer den Immobilien kann der Bezirk den Jugendverbänden nichts anbieten. „Woher sollen die Träger unter diesen Bedingungen die Ressourcen nehmen, um den Betrieb verlässlich zu gewährleisten?“, fragt Kleyböcker.

Seit Ende der 90er-Jahre senkt der Senat die Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe. Die Jugendarbeit ist davon besonders betroffen – Hilfen zur Erziehung sind individuell einklagbar, ein Treffpunkt für die Clique ist es nicht. Fördermittel werden daher verstärkt auf Angebote für Problemgruppen konzentriert. Die präventive Arbeit mit Kids leidet: „Dabei lernen junge Menschen gerade hier die sozialen Fähigkeiten, die sie benötigen, um ihren Platz in der Gesellschaft zu finden“, sagt Kleyböcker. Wer sich früh engagiere, tue dies oft ein Leben lang.

Wenn er nicht von der Sprunghaftigkeit der Verwaltung demotiviert wird. Der Bezirk Mitte präsentierte im September 2002 sein gekürztes Budget. Im Jugendhilfeausschuss, wo öffentliche und private Träger um die Verteilung kämpfen, fielen die Projekte des Kinderrings unter den Tisch. „Da war es aber schon zu spät, den Mitarbeitern pünktlich zum Jahresende zu kündigen“, sagt Referent Bernhard Keller. Ohne die entsprechenden Zuschüsse musste der Kinderring weiter Gehälter zahlen und geriet so an den Rand des Bankrotts. „In diesem Jahr mussten wir unseren 20 festen Mitarbeitern im August kündigen, um nicht wieder in so eine Situation zu kommen.“ Langfristige Planungen seien so unmöglich. Man müsse schon sehr leidensfähig sein, um dabeizubleiben.

Marina Bikádi ist das. Die Förderung für den Kinderkeller wurde gestrichen, sie führt ihn trotzdem weiter. Ein bisschen Geld vom Quartiersmanagement hat sie auch aufgetrieben – weniger, als sie an Arbeitslosengeld bekommen hätte. „Ich konnte die Kinder nicht allein lassen. Wo gehen sie denn hin, wenn ich die Tür zuschließe?“