Liebe, Freundschaft und die Grenzen

Elfen unter jedem Stein: Bradley Rust Grays „Salt“ erzählt die märchenhafte Geschichte einer Reise nach Reykjavík

„Eine einfache Geschichte über eine junge Frau, die sich in den Freund ihrer Schwester verliebt“, beschreibt Regisseur Bradley Rust Gray bündig die Handlung seines Films. Es geht darum, die Dinge einfach zu halten, weil sie sich von selbst noch genug verwickeln werden. Svava (Melkorka Huldudóttir) hat das Leben in dem abseits gelegenen isländischen Dorf und die Arbeit in der Fischfabrik satt und zieht nach Reykjavík; ihr Freund Aggi (David Örn Halldórsson) und ihre Schwester Hildur (Brynja Thóra Gudnadóttir), die sie am Fortgehen nicht hindern konnten, wollen sie in der Hauptstadt besuchen. Eine Reifenpanne zwingt sie zu einer mehrtägigen Unterbrechung der Reise, während der die beiden sich zunächst näher kommen, bis Hildur sich zur Rückkehr entscheidet. Lauter abgebrochene Bewegungen (ein Roadmovie, das auf einem Zeltplatz spielt), die schließlich in ein vollkommen offenes Bild münden, das Meer, in dem reale Geschichte und Mythos sich einander überlagern. Und zugleich jede Menge Raum, um den Figuren und den Eigenbewegungen ihrer Beziehungen untereinander nachzuspüren.

Gray, ein amerikanischer „expatriate“ auf Island, erzählt diese Geschichte in einem beinahe dokumentarischen Stil, in lose aneinandergefügten Szenen und mit einem Laienensemble, das er nach eigenen Angaben „während einer viermonatigen Phase des Auf- und Abgehens auf der Hauptstraße von Reykjavík“ entdeckt hat. Deswegen und wegen einer Kamera, die manchmal von den Protagonisten selbst geführt wird (die beiden wollen ihre Reise in die Hauptstadt für die Schwester dokumentieren), wird der Film von Kommentatoren, die sich mehr für Etiketten als für Inhalte interessieren, vermutlich schnell das „Dogma“-Prädikat aufgeklebt bekommen. Dabei hat „Salt“ nichts von dem zuweilen schockhaften Realismus, den die dänische Filmschule so gerne bedient. Statt einer Lektion in Sachen „Authentizität“ erzählt der Film ein Märchen, er reduziert die Bilder nicht auf ihre karge Bezeichnungsfunktion, sondern schwelgt in Aufnahmen einer tatsächlich kargen, minimalistisch-schönen Landschaft, deren diffuses Licht mehr andeutet als es verrät. In Island leben bekanntlich unter jedem spröden Stein noch Elfen.

„Salt“ von Bradley Rust Gray lief übrigens auf der diesjährigen Berlinale im Programm des Internationalen Forums und war dort einer der wenigen Beiträge, die als Debütfilm die Bezeichnung „Junger Film“ tatsächlich noch verdienten. Ein anderer war „All the Real Girls“ von David Gordon Green. Beide Regisseure haben zuvor dokumentarisch gearbeitet, beide verhandeln in ihren Filmen die prekäre Grenze zwischen Freundschaft und Liebe: wo das eine beginnt, das andere zu sein und sich damit selbst völlig fremd wird; wie eine durchlässige Grenze zwischen beiden Bereichen besteht, obwohl sie von unterschiedlichen Normen bestimmt werden. Und beide Filmemacher behandeln ihr Sujet mit einer melancholischen Ernsthaftigkeit, sind also meilenweit entfernt von den hysterischen Inszenierungen einer an sich selbst geblendeten „Jugendlichkeit“, die, wie es ein „junges“ Lifestyle-Magazin so passend formuliert, „eigentlich endlich erwachsen“ sein will, bloß noch nicht herausgefunden hat, wie. „Salt“ hat auf der Berlinale 2003 den „Caligari Filmpreis“ des Bundesverbandes kommunaler Filmarbeit erhalten. DIETMAR KAMMERER

„Salt“, Island/USA 2003, Regie: Bradley Rust Gray. Mit Brynis Thóra Gudnadóttir, David Örn Halldórsson u. a., OmU, bis 17. 9, tgl. 20 Uhr,fsk am Oranienplatz, Kreuzberg