: Sie müssen sprechen
Der FC Bayern gewinnt ein Auswärtsspiel in der Champions League 5:0. Doch wie viel ist der Sieg wert? Jubelstimmung mag keine aufkommen in einem Team, das der Trainer nur kaum noch erreicht
VON SEBASTIAN KRASS
Der Frust saß schon beim Anpfiff tief. Und man kann sich gut vorstellen, wie aus diesem Frust während des Spiels Zorn gedieh. Jeder Fehler, der seinem Konkurrenten Martin Demichelis unterlief – und es waren einige –, muss ein Stich für das Gerechtigkeitsempfinden des Daniel van Buyten gewesen sein. Dass er in der 78. Minute für den angeschlagenen Lucio eingewechselt wurde, machte nichts besser. Nach der Partie machte der Innenverteidiger des FC Bayern seinen Zorn öffentlich. Er beschrieb, wie Trainer Jürgen Klinsmann ihm vor dem Achtelfinal-Hinspiel in der Champions League bei Sporting Lissabon mehrmals einen Platz in der Startelf zugesichert habe. Erst in der Mannschaftssitzung vor der Partie habe er erfahren, dass Demichelis von Beginn an spielen würde. „Es ist, als würde ich gegen eine Wand laufen. Der Trainer ist der Chef, aber es ist sehr schwierig, das zu schlucken. Keine Ahnung, wie lange ich das noch durchhalte“, klagte van Buyten.
Man kann diese Worte als Jammerei und Einzelschicksal abtun. Ganz falsch läge man damit wohl auch nicht. Aber die Anekdote hat einen größeren Kontext. Sie ergänzt nämlich die Geschichte von der gestörten Binnenkommunikation im Mikrokosmos FC Bayern. Komplettiert wird das Kapitel durch die Aussagen des Trainers. Er habe van Buyten zwar gesagt, „dass er verdient hätte zu spielen“, sagte Klinsmann, sich dann aber anders entschieden. Van Buyten sei „erstklassig“ mit der Rückstufung umgegangen. Vielleicht hat Klinsmann hier der Öffentlichkeit schlicht die Unwahrheit gesagt. Es spricht allerdings auch einiges dafür, dass der Cheftrainer über die Befindlichkeiten seiner Spieler nicht im Bilde ist.
Vor knapp einer Woche leistete Klinsmann einen Beitrag zum Dauerbrennerthema „Vertragsverlängerung von Mark van Bommel“. Er gehe davon aus, dass der Niederländer bleibe – trotz der Verpflichtung von Anatolij Timoschtschuk: „Ich habe mit Mark darüber gesprochen.“ Kurz darauf saß van Bommel im Pressegespräch und sagte: „Ich weiß nicht, woher er das hat.“ Er habe zuletzt vor dem Pokalspiel in Stuttgart (also im Januar) mit Klinsmann gesprochen, „da hat er mir gesagt, dass er mich behalten will. Woher er nun diesen Eindruck hat? Vielleicht hat ihn in den letzten Wochen eine Euphorie gepackt.“
Nach dem 5:0 in Lissabon streute van Bommel wieder so eine subversive Spitze. Zur diesmal eklatant umgestellten Taktik der Bayern befragt, antwortete er: „Wir haben gemeinsam entschieden, dass wir defensiver spielen.“ Es war ein Satz, der die Autorität des Trainers unterminiert, deshalb kam zur Sicherheit die Nachfrage: Gemeinsam? „Ja, gemeinsam“, antwortete van Bommel. Zuletzt war zudem durchgesickert, dass einige Spieler eindeutige Vorgaben ihres Trainers vermissten und auch Klinsmanns Heißmacher-Rhetorik in der Kabine sich abnutze.
Wer auch immer die Vorgaben gemacht hat: Die Bayern wirkten in Lissabon deutlich besser sortiert als zuletzt in der Bundesliga. Ihr Bemühen, sich nur ja keine Abwehrpatzer zu leisten, erinnerte manchmal an das beliebte Kindergeburtstagsspiel, ein rohes Ei auf dem Löffel von A nach B zu bringen. In der 12. Minute wäre das Ei fast runtergefallen. Doch Philipp Lahm wehrte einen Schuss auf der Linie ab. Weil die Bayern so fixiert auf taktische Disziplin waren, ging ihnen allerdings jeder Esprit im Angriff verloren. Erst zwei glückliche Umstände lösten die Blockade: In der 42. Minute ermöglichte Derleis schlimmer Fehlpass Franck Ribéry das 1:0. Und das 2:0 durch Miroslav Kloses Lendeneinsatz hätte wegen Abseits aberkannt werden müssen. Der restliche Spielverlauf hatte nur noch wenig mit Champions-League-Niveau zu tun. Die Portugiesen waren nur noch ein Häufchen Elend. Ribéry per Foulelfmeter (63.) und Toni (84./90.) besorgten den Endstand. „Heute war fast jeder Schuss drin. Wir haben alles Glück der Welt gehabt“, resümierte Manager Uli Hoeneß.
Obwohl nun de facto das Viertelfinale und damit das erste Saisonziel erreicht ist, kam im Bayerntross keine Jubelstimmung auf. Voller Respekt schaut etwa Uli Hoeneß auf die Bundesliga. „Jetzt können wir uns mit etwas weniger Nervenflattern nach Bremen begeben. Aber dieser Sieg ist nur eine tolle Geschichte, wenn wir dort nachlegen.“
Jürgen Klinsmann muss bis dahin wohl noch ein paar intensive Einzelgespräche führen.