Auf Distanz im Zoo

Vorschusslorbeeren eingelöst: „Menschen bei Maischberger“ beschertder ARD 20,4 Prozent Quote. Auch wenn es nun gar nicht mehr menschelt

Sie ist dann am stärksten, wenn sie ihre Intelligenz ausspielen kann

von SILKE BURMESTER

Käme ein Printjournalist mit einem Artikel über eine Talkshow, in dem es hieße „Menschen bei Maischberger“, bekäme er diesen vom Textchef um die Ohren gehauen. „Ja, was denn sonst?“, würde dieser fragen, „Tiere?“

Der Dienstagabend wird etwas Erlösendes für Sandra Maischberger gehabt haben, egal, ob sie selbst ihren ersten ARD-Talk gelungen fand oder nicht. Der Druck auf die 37-Jährige war zum Berg der Erwartungen angewachsen. Reich dekoriert mit medialen Auszeichnungen sollte sie mit eigenem Format die Sendeplatz-Nachfolge Alfred Biolecks antreten und gleichzeitig dem von den Kollegen zum Notstandsgebiet heruntergetalkten Genre zu neuem Glanz verhelfen. Eine Maischberger scheint in diesen Zeiten, in der die inhaltliche Leere viele Leute mehr schmerzt als das Ausbleiben der konjunkturellen Belebung, unbezahlbar. Klug, eloquent und vor allem ohne die Negierung des Anspruchs zugunsten der Verkumpelung. Anders als beim grenzenlosen Beckmann oder dem hilflosen Kerner geht es bei ihr um Journalismus, nicht um Liebe und Anerkennung. „Menschen bei Maischberger“ ist der Versuch, die Gesprächskünste der Bayerin aus dem n-tv-Polit-Umfeld auf den Boulevard zu führen, zu den Menschen auf der Straße.

Sandra Maischberger hat zwei von ihnen eingeladen. Den aus dem Gefängnis entlassenen Peter Graf und Vesna Milenković, eine Frau, die die Bundesregierung für den Tod ihrer Tochter während des Jugoslawienkrieges verantwortlich macht. Außerdem dabei: Roger Kusch, von Roland Schill als schwul geouteter Hamburger Justizsenator, und „Florida-Rolf“, ein in den USA lebender deutscher Sozialhilfeempfänger. Und nun darf Frau Maischberger zeigen, was sie kann. Sie führt dem Publikum die Palette ihrer Künste vor, indem sie durch unauffällige Zusammenfassung des Sachverhalts die Zuschauer durch das Gespräch leitet, indem sie so pointiert nachfragt, dass keiner, der ihr gegenübersitzt, aus seiner Verantwortung entlassen wird. Das erinnert dann stark an ihr n-tv-Format, das sie neben den „Menschen“ noch dreimal wöchentlich live absolviert.

Wenn das Gespräch mit Peter Graf langweilig wird und die Geschichte der Mutter nur mittelmäßig befriedigend, dann liegt das daran, dass es Maischberger selbst langweilt, wenn es menschelt. Dann entfleuchen ihr Sätze wie: „Sie waren zu Haus – was haben Sie getan?“, „Sie starb in ihren Armen?“

Die Moderatorin wahrt Distanz. Immer. Doch gleitet das Gespräch mit Peter Graf auf ein inhaltliches Niveau von Gefängnis, Ehe und Steffi ab, das sich von der Aufbereitung durch die Bild-Zeitung nur durch die langen Sätze unterscheidet.

Sandra Maischberger braucht andere Gesprächspartner. Sie braucht einen Roger Kusch, einen „Florida-Rolf“. Jemanden, an dem sie sich reiben kann, der sie herausfordert. Ein adäquates Gegenüber, das ihre Intelligenz in jene Höhen treibt, wo es Spaß macht. Die Macher dieser Sendung werden allerdings überlegen müssen, ob eine so nahe Kamera-Einstellung wie bei Kusch die Intimsphäre verletzt und ob der Zusammenschnitt beider Gesprächspartner auf einen Bildschirm wirklich günstig ist.

Auch mag ihnen aufgefallen sein, wie merkwürdig es anmutet, das Studiopublikum nur ein einziges Mal, ganz kurz zu Anfang, zu zeigen. Auf jeden Fall sollten sie die türkisfarbenen Kacheln mit Astschatten als Hintergrund überdenken. So nämlich wurden früher die Affenhäuser in den Zoos gestaltet. Und TV-Leute werden dem Einwand irgendeines Textchefs doch keine Nahrung geben wollen.