Ungewisse Hoffnung für US-Todeskandidaten

Weil Richter statt Geschworener die Urteile gefällt hatten, hebt ein Berufungsgericht über 100 Todesurteile auf

BERLIN taz ■ Ein Bundesberufungsgericht in San Francisco hat am Montag 112 Todesurteile aus drei US-Bundesstaaten aufgehoben und in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Die Urteile aus den Staaten Arizona, Idaho und Montana waren durch Richter gefällt worden, nicht durch eine Geschworenenjury. Diese Praxis aber hatte der Oberste Gerichtshof der USA im vergangenen Jahr für verfassungswidrig erklärt – nur eine Jury sei berechtigt, Todesurteile zu verhängen, urteilten die Richter damals. Die Berufungskammer in San Francisco erklärte nun, dass diese Regel auch rückwirkend anzuwenden sei.

Terry Goddard, der Generalstaatsanwalt von Arizona, hat bereits angekündigt, wiederum vor dem Obersten Gericht Berufung gegen die Entscheidung einzulegen. In Arizona wären rund 90 von insgesamt 127 Insassen der Todeszellen von der Entscheidung betroffen. Goddard überlegt laut Washington Post bereits, in so genannten Miniverfahren die Todesurteile von Geschworenenjurys nachträglich bestätigen zu lassen, um die Verurteilten doch noch in Einklang mit der Verfassung hinrichten zu können, sollte das Oberste Gericht das Urteil bestätigen. Das aber scheint ungewiss, denn andere Bundesgerichte haben in vergleichbaren Fällen anders entschieden.

Das Grundsatzurteil vom Montag war von Warren Summerlin angestrengt worden, einem 1982 wegen Mordes zum Tode verurteilten Häftling. Bereits im ersten Satz ihrer 90-seitigen Urteilsschrift machen die Richter aus San Francisco klar, was sie von den Umständen seiner Verurteilung hielten: „Es ist das Material, aus dem Gerichtsromane gestrickt sind: ein brutaler Mörder, ein anonymer Psychohinweis, eine Romanze, die einen Deal vor Gericht verhindert, ein offensichtlich inkompetenter Verteidiger und ein Todesurteil, ausgesprochen von einem angeblich drogensüchtigen Richter.“ Es mögen tatsächlich die haarsträubenden Details gerade dieses Verfahrens gewesen sein, durch die sich die Kammer gedrängt sah, die Entscheidungskompetenz einzelner Richter in Todesstrafenverfahren nun auch rückwirkend abzuerkennen. Summerlins damaliger Richter, der am gleichen Tag mehrere Todesstrafen verhängte, wurde später wegen fortlaufenden Drogenkonsums suspendiert.

Falls das Urteil vor dem Obersten Gericht Bestand hat, wird es sich auch auf Todeskandidaten in Nebraska und Colorado auswirken, wo ähnliche Verfahren stattfanden. In Florida, Alabama, Delaware und Indiana hingegen entscheiden zwar auch Richter über den Schuldspruch, werden dabei allerdings von Geschworenen beraten.

Das Urteil vom Montag wäre, falls bestätigt, schon die zweite große Umwandlung von Todesurteilen in lebenslange Haftstrafen in diesem Jahr. Im Frühjahr hatte der scheidende Gouverneur von Illinois, George Ryan, entschieden, die Urteile aller 167 Todeszelleninsassen in Illinois in Haftstrafen umzuwandeln, weil sich die Zahl der Verfahrensfehler und Fehlurteile massiv gehäuft hatte. BERND PICKERT