Erste Hilfe für die Opfer der Hartz-Reform

Das Kölner Arbeitslosenzentrum KALZ erklärt Langzeitarbeitslosen die Vorschriften zum neuen ALG II. Betroffene halten nicht viel von dem Fragebogen, behalten aber ihren Humor: „Damit krieg ich zwar keine Arbeit, bin aber ein paar Tage beschäftigt“

Von Susanne Gannott

Die vier Stuhlreihen vor dem Kölner Arbeitslosenzentrum KALZ reichen längst nicht aus für all jene, die an diesem Montag Morgen zum Beratungszentrum gegenüber vom Bezirksamt Ehrenfeld gekommen sind. Rund 40 Leute warten hier auf eine „Gruppeninformation zum ALG II“ – die meisten schweigend, manche halten einen Notizblock gezückt, andere rauchen noch eine selbst gedrehte Zigarette und schauen Löcher in die Luft.

Dann tritt KALZ-Mitarbeiter Bernd Mombauer neben die Schautafel, auf der ein Diagramm mit Pfeilen und Abkürzungen wie SGBIII, GSiG und BSHG schon erahnen lässt, dass es kompliziert wird in den nächsten eineinhalb Stunden. Was ist eine Bedarfsgemeinschaft, was ein Regelsatz, wie viel darf man nebenbei noch verdienen? Mombauer weiß, dass für die meisten auch nach seinem Vortrag noch längst nicht alles geklärt ist. „Bitte kommen Sie in die Einzelberatung“, sagt er immer wieder, wenn Zwischenfragen seinen Parforceritt durch den Paragraphendschungel unterbrechen.

Dass weder die Zuhörer noch Mombauer viel von den neuen Vorschriften halten, wird im Verlauf des Vormittags schnell klar. Thema „angemessenes Vermögen“: Mombauer erzählt, dass ein Sohn, „wenn er zu viel Knete hat“, für die Eltern zahlen muss, wenn er mit im Haushalt lebt. Wie hoch aber der Freibetrag des Sohnes ist, den er als „angemessen“ für sich behalten darf, sei noch nicht geregelt. „Wie übrigens fast überall dort, wo das Wort ‚angemessen‘ vorkommt.“ Ein älterer Mann mit Schnauzbart und Batikhemd echauffiert sich: „Da beißt sich doch die Katze in den Schwanz. Wenn der Sohn Miete zahlt, wird mir das als Einkünfte ausgelegt, was meinen Anspruch wiederum reduziert“, sagt er. „Das ist ja auch der Sinn der Sache“, antwortet eine Frau und erntet für ihre Einschätzung des Sinns und Zwecks von Hartz IV zustimmendes Gelächter.

Auch Mombauer hat zur Aufheiterung die eine oder andere Anekdote aus seiner Beratungspraxis parat. Was etwa den ominösen Antrag angeht, den potenzielle ALG-Empfänger jetzt ausfüllen müssen, habe ihm ein Betroffener erklärt: „Damit krieg ich zwar keine Arbeit, bin aber ein paar Tage beschäftigt.“ Das Mombauer ähnlich denkt, steht ihm ins verschmitzte Gesicht geschrieben. Zum Boykott des Antrags aufrufen, wie es manche Organisation bereits getan hat, will er allerdings nicht. Er hält das für unverantwortlich, schließlich bekämen die Betroffenen dann im neuen Jahr vermutlich erstmal gar kein Geld. „Sie müssen selbst entscheiden, ob und wann Sie den Antrag abgeben.“ Eine junge Frau erzählt, dass sie ihren Antrag samt Termin zum Vorsprechen bereits bekommen hat. „Darin steht, wenn ich den Termin nicht wahrnehme, kriege ich kein Geld“, klagt sie. Dabei habe sie noch gar nicht alle Papiere zusammen. Das allgemeine Aufstöhnen signalisiert, dass viele der Anwesenden die Befürchtung haben, im Januar ohne jeden Cent dazustehen. „Bislang ist sowieso völlig unklar, ob Clement das schafft, im Januar auszuzahlen“, mischt sich KALZ-Geschäftsführer Thomas Münch in die Debatte. „Natürlich schafft der das nicht“, raunt es aus dem Publikum.

Inzwischen ist Mombauer bei den Einzelheiten zum Antrag angekommen. Telefon und Email zum Beispiel solle man besser nicht angeben, das sei freiwillig. „Die wollen nur schnell mal die Verfügbarkeit testen.“ Ansonsten hält er sich mit Tipps und Tricks allerdings ziemlich zurück. „Als öffentlich geförderte Beratungsstelle müssen wir da vorsichtig sein“, bittet er um Nachsicht. Trotzdem lässt er indirekt schon mal was durchblicken. Etwa als ihn ein Mann fragt, was er mit den Sparbüchern seiner Kinder machen soll, die ab 750 Euro als „Vermögen“ angerechnet würden. Schnell auflösen und das Geld verjuxen? „Das wäre eine Möglichkeit“, antwortet der KALZ-Berater.

Auch sonst gibt es beim Thema „anrechenbare Einkünfte“ manche Überraschung für die Zuhörer. Geschenke etwa, ist zu hören, müssen gegebenenfalls auch angegeben werden. „Meine Weihnachtsgeschenke darf ich aber behalten?“, fragt eine junge Frau. „Wenn es kein Plasma-Bildschirm ist für 1.000 Euro“, klärt Mombauer sie auf. „Ich weiß gar nicht, was das ist“, erwidert sie. Und das sarkastische Lachen der anderen zeigt, dass die meisten nur selten mit solchen „Luxusgütern“ in Berührung kommen.

Dann kommt Mombauer „zum Höhepunkt der Veranstaltung und der Liste der Grausamkeiten“: zur Frage nach der „angemessenen Miete“, die sich im teuren Köln wohl für fast alle Anwesenden stellt. „Die Sozialdezernentin Frau Bredehorst hat ja im Stadt-Anzeiger gesagt, das ‚nicht alle, nur manche‘ umziehen müssen, wenn sie teurer wohnen“, höhnt der KALZ-Mann. Die Erfahrung mit der Sozialhilfe habe allerdings gezeigt, dass das rigoros durchgeführt wird. „Sie haben also ein halbes Jahr Zeit, sich eine neue Wohnung zu suchen“, erklärt er und rät den Betroffenen, ein Tagebuch zu führen über die Wohnungssuche.

Dann ist die Veranstaltung zu Ende. Manch einer zieht mit hängendem Kopf schnell davon. Viele bleiben, stehen in Grüppchen zusammen und diskutieren. Sie sind zwar nicht viel schlauer geworden, aber sie haben gemerkt, dass sie zumindest nicht allein sind mit ihren Sorgen und Fragen. Zettel gehen rum mit einem Aufruf zur ersten „Montagsdemo“ auf der Domplatte. Sie sind schnell vergriffen.